Niemals – Die McDermotts Band 1

Ebook & Taschenbuch

Rose Porter beauftragt den attraktiven Schürzenjäger Callan McDermott, sich während ihrer Abwesenheit um ihre Enkelin Joyce zu kümmern. Dieser ist überzeugt, das ohne Probleme zu bewältigen – er kennt Joyce noch von früher und hat sie als ein pummeliges, bebrilltes Mauerblümchen in Erinnerung. Doch Joyce hat sich verändert, und als sie auf der Ranch eintrifft, merkt Callan sehr schnell, dass diese Aufgabe seine Nerven auf eine harte Zerreißprobe stellt …

Niemals – Die McDermotts Band 1

1

»Musst du wirklich schon gehen?«

Die schwarzhaarige Frau warf einen bedauernden Blick auf den Mann, der vor dem Bett stand und sich seine Kleidung überstreifte.

»Ja«, brummte er, während er sich das karierte Hemd in die Jeans stopfte.

»Schade.« Sie rekelte sich lasziv auf dem zerknitterten Laken. »Sehen wir uns wieder?«

Mit einem kaum hörbaren, genervten Schnaufen zog er seine Stiefel an. »Nein«, betonte er abweisend. »Ich habe dir vorher gesagt, dass es eine einmalige Sache ist.«

»Ich weiß«, seufzte sie enttäuscht. »Es hätte ja sein können, dass du es dir anders überlegst.«

Gleichgültig drückte er sich seinen Stetson auf den Kopf und ging zur Tür. »Es war nett mit dir, machs gut.«

***

Etwa eine halbe Stunde später hatte Callan McDermott das schnelle Intermezzo mit der Schwarzhaarigen, deren Namen er nicht einmal kannte, schon wieder vergessen.

Es wurde bereits dunkel, als er auf der Porter-Ranch eintraf, die ein Stück außerhalb von Stillwell lag. Die ehemalige Farm bestand aus einem Hauptgebäude, in welchem die Besitzerin Rose Porter wohnte, und einem weiteren Haus, das zur Unterbringung der Gäste diente. Außerdem gab es Unterkünfte für die Arbeiter, einen Pferdestall sowie eine Scheune und einige kleinere Gebäude. Früher waren auf der Ranch noch Rinder gezüchtet worden, doch das war seit dem Tode von Roses Ehemann nicht mehr der Fall. Stattdessen vermietete die alte Dame während der Sommermonate Zimmer an Urlauber, meistens Besucher aus den Großstädten, die einmal die typische Western-Atmosphäre erleben wollten.

Callan parkte seinen Wagen, einen betagten, dunkelblauen Chevrolet Apache Pick-up, vor dem Wohnhaus. Mit festen Schritten lief er zum Eingang, nahm seinen Hut ab und trat nach kurzem Anklopfen ein.

Die grauhaarige Endsechzigerin stand am Wohnzimmerfenster und erwartete ihn bereits. »Du bist zu spät«, empfing sie ihn mit einem demonstrativen Blick auf die Uhr.

»Tut mir leid, ich hatte noch etwas zu erledigen.«

»Blond oder brünett?«, fragte sie süffisant.

Leicht verlegen drehte Callan seinen Hut in den Händen und Rose wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Aber sie sagte nichts weiter dazu, bedeutete ihm, sich zu setzen, und kam auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen.

»Ich habe dich herbestellt, weil ich deine Hilfe brauche«, erklärte sie. »Du kennst doch bestimmt noch meine Enkelin Joyce?«

Callan lehnte sich bequem im Sessel zurück, streckte seine langen Beine aus und nickte. »Ja, klar.«

Obwohl es Jahre her war, konnte er sich nur zu gut an Joyce erinnern. Das letzte Mal hatte er sie gesehen, als sie fünfzehn gewesen war, ein pummeliges, rothaariges Ding mit Zahnspange, dicker Brille und einer Menge Sommersprossen.

Er grinste, als er daran dachte, dass er sie stets ‚Sprosse‘ genannt hatte, und sein Grinsen verstärkte sich noch, als ihm einfiel, wie verliebt sie früher in ihn gewesen war.

Sie war damals mit seiner Schwester Lauren befreundet gewesen, immer wenn Joyce ihre Großmutter in den Ferien besuchte, klebten die beiden Mädchen wie die Kletten aneinander. So blieb es nicht aus, dass er trotz des Altersunterschieds von fünf Jahren oft Zeit mit ihr verbrachte. Meistens waren sie zum Schwimmen am Silver Lake gewesen, Joyce, Lauren, seine Brüder Jordan und Adrian sowie er selbst und verschiedene Freunde.

»Gut«, durchbrach Rose jetzt seine Erinnerungen, »Joyce ist morgen auf dem Weg nach Los Angeles und wird für zwei Tage einen Zwischenstopp hier einlegen. Ich möchte, dass du dich um sie kümmerst.«

»Was?«

»Du wirst dafür sorgen, dass sie unter keinen Umständen abreist«, betonte Rose energisch.

»Aber … ich verstehe nicht …«, stammelte er irritiert.

»Das brauchst du auch nicht, es geht um eine Familienangelegenheit«, wies sie ihn zurecht und erteilte ihm dann mit ruhiger Stimme ihre Instruktionen.

Nachdem sie geendet hatte, zögerte er einen Moment. Er hatte nicht die geringste Lust, den Babysitter für Joyce Porter zu spielen. Doch im Prinzip hatte er keine Möglichkeit, Nein zu sagen. Seit vielen Jahren kümmerte Rose sich rührend um ihn, seine Geschwister und seinen Vater. Sie war für ihn beinahe wie seine eigene Großmutter und hatte ihm schon häufig aus der Klemme geholfen, sodass er ihre Bitte schlecht ablehnen konnte.

»Also gut«, stimmte er daher seufzend zu, »was genau soll ich tun?«

Rose lächelte. »Prima, ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Joyce kommt morgen Abend um kurz nach sieben mit der Maschine aus New York an. Du holst sie vom Flughafen ab, und danach läuft alles wie besprochen, ich werde zu diesem Zeitpunkt dann nicht mehr hier sein.«

Callan stand auf. »In Ordnung.«

Er wandte sich zur Tür und wollte gehen, da hielt Rose ihn zurück.

»Und Callan«, funkelte sie ihn aus ihren fast schwarzen Augen an, »damit das klar ist: Du wirst darauf achten, dass ihr niemand zu nahe kommt – das gilt hauptsächlich für dich. Behalte deine Hände bei dir und alles andere auch.«

Er hatte Mühe, sich ein amüsiertes Grinsen zu verkneifen. Sich an ein pummeliges, bebrilltes Mauerblümchen heranzumachen, wäre das Letzte, was ihm in den Sinn käme. Es gab schließlich genug hübsche Frauen, die er nicht lange bitten musste. Diesen Teil seiner Aufgabe konnte er mit gutem Gewissen erfüllen, und so nickte er mit ernster Miene.

»Natürlich, du hast mein Ehrenwort«, versprach er aufrichtig, »ich werde Joyce nicht anrühren – niemals.«

*** 

Am nächsten Abend saß Callan in seinem Pick-up und war unterwegs nach San Antonio. Mit einem leisen Seufzen drehte er das Radio lauter und summte den Countrysong mit, während seine Gedanken um das Gespräch mit Rose kreisten.

Obwohl er ihren Plan mehr als seltsam fand, hielt er es für besser, sie nicht nach den Gründen dafür zu fragen. So gütig Rose Porter auf der einen Seite war, so unangenehm wurde sie, wenn ihr etwas in die Quere kam. Jeder, der sie kannte, hatte großen Respekt vor ihr, und das ging ihm nicht anders. Er hätte es nie gewagt, ihr zu widersprechen, und letztendlich konnte es ihm auch egal sein, was sie mit dieser merkwürdigen Aktion bezweckte. Das Ganze dauerte vermutlich nur ein paar Tage, und die würde er schon irgendwie herumbringen.

In der Halle des San Antonio International Airport steuerte Callan zielstrebig auf den Ausgang des Fluges aus New York zu. Dank seiner Körpergröße fiel es ihm nicht schwer, über die Köpfe der übrigen Wartenden hinweg die Schiebetüren im Auge zu behalten. Etliche Passagiere strömten dort bereits hinaus. Er hielt Ausschau nach einer kräftigen Rothaarigen mit Brille, doch er konnte Joyce nirgends entdecken.

Stirnrunzelnd nahm er Roses Zettel aus seiner Hemdtasche und verglich noch einmal die Daten. United Airlines, Flug UA 1217, Ankunft 19:02 – es gab keinen Zweifel, er war am richtigen Gate.

Suchend schaute er sich um, lief dabei ein paar Schritte rückwärts und stieß plötzlich mit jemandem zusammen. Ein Koffer polterte zu Boden und klappte auf, Kleidung und andere Utensilien verteilten sich ringsum.

»Können Sie denn nicht aufpassen?«, empörte sich eine Frauenstimme hinter ihm.

Mit einem gemurmelten »Sorry« drehte er sich um. Das Erste, was ihm ins Auge sprang, waren zwei lange, wohlgeformte Beine. Danach fiel sein Blick auf einige äußerst verführerische Dessous, die zwischen den verstreuten Sachen lagen. Sofort erwachte sein Jagdtrieb und automatisch setzte er das Lächeln auf, von dem er genau wusste, dass kein weibliches Wesen ihm widerstehen konnte.

»Es tut mir wirklich sehr leid«, wiederholte er, während er in die Hocke ging und der jungen Frau half, ihre Habseligkeiten wieder einzusammeln.

Dabei musterte er sie ganz ungeniert. Langes, kastanienfarbenes Haar, rehbraune Augen, volle, sinnliche Lippen, die jetzt allerdings etwas verärgert aufeinandergepresst waren. Zu den tollen Beinen gehörte eine ebenso ansprechende Oberweite, wie er mit einem kurzen Blick in den Ausschnitt ihres Kleides feststellte.

Er griff nach einem spitzenbesetzten Höschen. »Kann ich das irgendwie gutmachen? Vielleicht mit einer Tasse Kaffee?«, fragte er charmant.

»Nein danke«, erwiderte die Frau abweisend. Unwirsch riss sie ihm den Slip aus der Hand. »Ich denke, den Rest kriege ich alleine hin.«

Doch so schnell ließ er sich nicht entmutigen. »Bleiben Sie länger in San Antonio? Wir könnten uns auf einen Drink treffen und ich zeige Ihnen die Stadt.«

Sie stopfte alles in den Koffer zurück, drückte den Verschluss zu und bedachte Callan mit einem vernichtenden Blick. »Nicht lange genug, als dass Sie auch nur den Hauch einer Chance hätten, Cowboy.«

Mit einem bedauernden Grinsen schaute er ihr hinterher, während sie in Richtung Ausgang davonging. Nachdem er noch einen Moment ihre straffe, wohlgerundete Kehrseite bewundert hatte, wandte er sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu.

Beunruhigt stellte er fest, dass inzwischen alle Passagiere des New Yorker Fluges den Ankunftsbereich verlassen hatten, doch weit und breit war keine Spur von Joyce zu sehen. Erneut sah er sich in der Halle um, und als er sie nirgends entdeckte, machte er sich resigniert auf den Rückweg nach Stillwell.

Toll, dachte er genervt, als er in seinem Pick-up saß und über die Interstate 35 preschte, das fängt ja schon gut an.

***

»Was soll das heißen, du hast sie nirgendwo gefunden?«, fragte Rose dann auch vorwurfsvoll, als Callan sie eineinhalb Stunden später von der Ranch aus anrief. »Ich könnte wetten, dass du deine Augen wieder ganz woanders hattest.«

»Unsinn«, wehrte er hastig ab, während er an die fantastischen Beine und die Dessous dachte. »Ich schwöre dir, ich habe wirklich aufgepasst, aber Joyce war offenbar nicht in der Maschine.«

In diesem Moment hörte er draußen ein Motorengeräusch, und als er aus dem Fenster schaute, sah er einen gelben Wagen vorfahren.

»Warte mal, da kommt ein Taxi, vielleicht ist sie das«, berichtete er und beobachtete, wie die Beifahrertür geöffnet wurde.

Ein Paar langer, schlanker Beine schwangen heraus, dann folgte der Rest, und er hätte beinahe den Hörer fallen lassen.

»Oh mein Gott«, murmelte er entgeistert.

»Callan? Was ist los?«, wollte Rose wissen.

»Ich … äh … nichts«, sagte er rasch. »Ich muss jetzt Schluss machen, ich glaube, da ist ein Gast gekommen.«

Bevor Rose noch etwas sagen konnte, legte er auf, und im gleichen Augenblick öffnete sich auch schon die Haustür.

»Granny?«, rief eine weiche Frauenstimme.

Wie versteinert stand er da, starrte die Frau an, mit deren Unterwäsche er am Flughafen bereits Bekanntschaft gemacht hatte, und die seinen überraschten Blick jetzt herausfordernd erwiderte.

»Sprosse?«, fragte er ungläubig, als er nach einer Weile seine Sprache wiederfand.

Sie verzog spöttisch das Gesicht. »Tja, McDermott – so sieht man sich wieder.«

***

Bevor Callan sich von seiner Überraschung erholt hatte, läutete das Telefon. Mit einem Schritt war er bei dem Apparat, der neben der Küchentür an der Wand hing, und nahm den Hörer ab.

»Porter-Ranch«, meldete er sich.

»Callan, was zum Henker ist da los?«, fragte Rose aufgebracht. »Die neuen Gäste kommen erst nächste Woche.«

»Tut mir leid, ich hatte mich geirrt«, murmelte er zerknirscht, »es war Spro… Joyce.«

Erleichtert atmete Rose auf. »Gott sei Dank, ich habe mir schon die größten Sorgen gemacht. Gib sie mir bitte.«

»Deine Großmutter will dich sprechen.« Er reichte Joyce den Hörer.

»Granny«, entfuhr es ihr verwundert, »wo bist du?«

»Im Krankenhaus.« Als Rose hörte, wie Joyce entsetzt nach Luft schnappte, fügte sie rasch hinzu: »Reg dich nicht auf Kind, es ist nichts Schlimmes, ich habe mir nur das Bein gebrochen.«

»Himmel, Granny, wie ist das denn passiert?«

»Ach, ich bin in der Dusche ausgerutscht, dummerweise ausgerechnet heute. Dabei hatte ich mich so auf dich gefreut.«

»Ich mich auch«, murmelte Joyce enttäuscht. »Kann ich irgendetwas für dich tun?«

Rose zögerte einen Moment. »Ja, es gibt da schon etwas, worum ich dich bitten möchte.«

»Schieß los, egal was es ist, ich helfe dir auf jeden Fall.«

»Nun, ich werde wohl eine ganze Weile in der Klinik bleiben müssen, der Bruch ist kompliziert und du weißt ja, alte Knochen heilen nicht so schnell. Ich bräuchte jemanden, der mich so lange auf der Ranch vertritt.«

Im gleichen Augenblick bereute Joyce ihr voreiliges Versprechen. »Ich muss am Montag in Los Angeles sein, das hatte ich dir doch geschrieben«, murmelte sie unglücklich. »Hast du denn niemanden, der hier nach dem Rechten sieht?«

»Ja, ich habe Callan, er ist mein Vormann und kümmert sich um die Arbeiter und die übrigen Dinge, das ist nicht das Problem. Aber ich kann von ihm nicht erwarten, dass er auch noch meine Aufgaben übernimmt.« Joyce schwieg bedrückt, und Rose fügte hinzu: »Ich will dir allerdings nicht deine Pläne durcheinanderbringen.«

Sofort meldete sich Joyce’ schlechtes Gewissen. Sie liebte ihre Großmutter über alles, hatte jedoch in den letzten Jahren keine Zeit gefunden, sich um sie zu kümmern. Außerdem hatte Rose ihr zum größten Teil ihr Kunststudium finanziert, sehr zum Unwillen ihres Vaters, der das Ganze stets als Zeitverschwendung bezeichnete. Sie jetzt in dieser Notlage im Stich zu lassen, kam nicht infrage.

»Ich könnte den Termin vielleicht verschieben«, bot sie daher an.

Rose atmete erleichtert auf. »Ach Kind, würdest du das wirklich tun? Damit nimmst du mir eine große Last von den Schultern.«

»Auf jeden Fall werde ich es versuchen«, versprach Joyce. »Aber denkst du denn, dass ich mich hier zurechtfinde? Ich habe doch gar keine Ahnung, was zu tun ist.«

»Mach dir keine Gedanken«, beruhigte Rose sie. »Callan wird dir alles zeigen und erklären, er weiß bestens Bescheid.«

»Callan«, murmelte Joyce unbehaglich, und das Gefühl, dass sie einen Fehler begangen hatte, verstärkte sich.

Allerdings war es jetzt zu spät für einen Rückzieher, wenn sie ihre Großmutter nicht enttäuschen wollte.

»Ihr kennt euch ja noch von früher, bestimmt kommt ihr gut miteinander zurecht«, erklärte Rose fröhlich. »Gib ihn mir doch noch mal.«

Joyce verabschiedete sich von Rose und reichte den Hörer dann wortlos an Callan weiter.

»Ja?«

»Okay, bis jetzt läuft es wie geplant. Nun bist du an der Reihe, sorge dafür, dass sie unter allen Umständen auf der Ranch bleibt. Sie darf nicht abreisen, bevor ich zurück bin, ist das klar?«, schärfte Rose ihm erneut ein.

»In Ordnung, ich kümmere mich darum.«

Sie erteilte ihm weitere Anweisungen, und während er stumm zuhörte, hatte Joyce Gelegenheit, ihn ausgiebig zu betrachten.

Dunkelblonde, kurzgeschnittene Haare, ein etwas dunklerer Dreitagebart auf einem kantigen Kinn, schmale, energische Lippen, sonnengebräunte Haut, die einen starken Kontrast zu seinen stahlblauen Augen bildete. Unter einem karierten Hemd zeichnete sich ein kräftiger Oberkörper ab, die ebenso muskulösen Beine steckten in einer ausgewaschenen Jeans, dazu trug er abgewetzte Cowboystiefel aus schwarzem Leder.

Trotz ihrer hohen Schuhe überragte er sie um gut zehn Zentimeter und beäugte sie kritisch von dort oben, während er mit Rose sprach.

»Und Callan, vergiss nicht, du wirst sie nicht anrühren«, erinnerte die alte Dame ihn an sein Versprechen.

Er dachte an das Spitzenhöschen und schluckte. »Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht.«

***

»Sprosse, das glaube ich ja wirklich nicht. Kein Wunder, dass ich dich am Flughafen nirgends gefunden habe«, sagte Callan kopfschüttelnd, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte.

»Vielleicht wäre das nicht passiert, wenn du dich nicht so sehr für meine Unterwäsche interessiert hättest, McDermott«, gab Joyce ungnädig zurück.

Sei froh, dass du sie dabei nicht anhattest, wollte er erwidern, doch angesichts Roses Ermahnung verkniff er sich die Bemerkung. »Willst du noch etwas essen?«, bot er stattdessen an.

Joyce schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, ich werde mich lieber hinlegen, ich war den ganzen Tag unterwegs.«

»Okay, alles Weitere besprechen wir morgen.«

Ohne zu zögern, griff er nach ihrem Koffer. Er öffnete die Tür zu dem kleinen, vorderen Schlafzimmer, welches Joyce bei ihren früheren Besuchen stets bewohnt hatte, und legte ihr Gepäck drinnen aufs Bett.

»Also dann, gute Nacht«, wünschte er ihr und ging hinaus.

»Gute Nacht«, murmelte sie und dachte voll Unbehagen daran, dass sie noch nie allein in diesem Haus gewesen war. »McDermott«, rief sie ihm durchs Wohnzimmer hinterher.

Callan drehte sich um. »Ja?«

»Wo … schläfst du auch hier?«, fragte sie unsicher.

»Drüben in den Arbeiterunterkünften«, nickte er und fügte amüsiert hinzu: »Sprosse, du wirst doch nicht etwa Angst haben?«

»Nein«, leugnete sie rasch und verzog das Gesicht, »ich wollte nur sicher sein, dass du weit genug weg bist.«

*** 

Müde ließ Joyce sich aufs Bett fallen. In ihrem Kopf rotierten die Gedanken und frustriert stellte sie fest, dass die kurze Stippvisite bei ihrer Großmutter bisher nicht sonderlich angenehm verlaufen war. Sie hatte sich so auf den Besuch bei ihr gefreut. Jetzt lag Granny im Krankenhaus, während sie hier auf der Ranch saß und sich um Dinge kümmern sollte, von denen sie keinen blassen Schimmer hatte. Und als wäre das nicht schlimm genug, hatte sie zu allem Überfluss zusätzlich Callan am Hals.

Wie aufs Stichwort hörte sie draußen eine Autotür zufallen. Sie stand auf, ging zum Fenster, schob die Gardine beiseite, und erspähte Callan, der in einen Pick-up stieg und davonfuhr.

»Toll, nun bin ich doch ganz alleine hier«, murmelte Joyce verdrossen und legte sich wieder hin.

Callan. Sie seufzte leise. Er sah immer noch so verdammt gut aus. Nein, falsch. Er sah noch viel besser aus, als sie es in Erinnerung hatte. Natürlich hatte sie am Flughafen genau gewusst, wer er war, Granny hatte ihr ja mitgeteilt, dass er sie abholen würde. Sie hatte es jedoch vorgezogen, ihn ein wenig schmoren zu lassen, als ihre kleine, persönliche Rache für sein verletzendes Verhalten von damals.

Es war neun Jahre her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, sie war fünfzehn gewesen an jenem bewussten Tag, den sie nie vergessen würde.

Wie immer waren sie alle zum Schwimmen an den Silver Lake gegangen. Eigentlich war sie mit Lauren McDermott befreundet, aber ihre Brüder begleiteten sie meistens; Jordan, Adrian und natürlich auch Callan.

Zu dieser Zeit war Joyce bis über beide Ohren in Callan verliebt, mit seinen zwanzig Jahren war er für sie jedoch unerreichbar. Außerdem hatte er ständig eine Schar hübscher Mädchen um sich, mit denen er ungeniert flirtete, herumknutschte und vermutlich noch ganz andere Dinge tat. Dass er sie kaum beachtete, wunderte sie nicht. Sie wusste, dass sie mit ihrer Brille, der Zahnspange und den Unmengen von Sommersprossen nicht gerade sehr ansprechend aussah, in der Schule wurde sie deswegen oft genug verspottet. Doch sie schwärmte weiter still für ihn. Er war ihre erste, große Liebe und sie war glücklich, wenn er irgendwo in der Nähe war.

An jenem bewussten Nachmittag alberten sie im Wasser herum und kamen schließlich auf die Idee, von einem der Felsen herunterzuspringen, die den See auf einer Seite säumten. Als Joyce aus der schwindelerregenden Höhe herunterschaute, hatte sie zunächst Bedenken. Aber die anderen hatten den Sprung bereits unbeschadet überstanden, und als Callan ihr ein paar Mal »Feigling« zurief, nahm sie ihren Mut zusammen und sprang.

Sie kam heil unten an, doch irgendwie schluckte sie eine Menge Wasser und bekam plötzlich keine Luft mehr. Alles wurde schwarz, und als sie wieder zu sich kam, lag sie am Ufer und Callans Gesicht war dicht über ihr. Seine blauen Augen schauten sie besorgt an, sein Mund war so verlockend nahe. Ohne wirklich zu wissen, was sie da tat, zog sie seinen Kopf zu sich herunter und drückte ungeschickt ihre Lippen auf seine.

Einen Moment lang hielt er überrascht still, dann sprang er auf. »Sprosse, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich küssen würde«, rief er laut und betonte spöttisch: »Niemals.«

Sämtliche Freunde ringsherum lachten, und Joyce saß da wie ein begossener Pudel, feuerrot, beschämt, mühsam die Tränen unterdrückend.

Sobald sich alle wieder etwas beruhigt hatten und abgelenkt waren, raffte sie ihre Sachen zusammen und machte sich aus dem Staub. Lauren kam hinter ihr hergelaufen.

»Joyce, warte, wo willst du denn hin?«

»Weg«, flüsterte sie tränenüberströmt, »nur weg.«

»Nun komm schon, Callan hat das nicht böse gemeint, du kennst ihn doch.«

»Ja, leider«, nickte sie. »Er ist ein Idiot und ich will ihn nie wiedersehen.«

Die restlichen Tage bis zu ihrer Abreise vergrub sie sich auf der Ranch, und danach hatte sie nie wieder den Wunsch verspürt, die Ferien bei ihrer Großmutter zu verbringen.

Mit einem leisen Seufzen drehte Joyce sich jetzt auf die andere Seite. Sie hatte lange nicht mehr daran gedacht, aber nachdem sie Callan nun wiedergesehen hatte, war die Erinnerung auf einmal so präsent, als wäre es erst gestern geschehen.

Für einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, ihm am nächsten Tag gründlich die Meinung über sein flegelhaftes Benehmen von damals zu sagen. Doch dann verscheuchte sie die unangenehmen Bilder aus ihrem Kopf. Das war alles ewig her, und garantiert konnte er sich überhaupt nicht daran erinnern. Außerdem würden sie hier für ein paar Tage miteinander auskommen müssen, und sie hatte keine Lust, sich mit ihm herumzuärgern.

Sie gähnte. Was soll‘s, dachte sie schläfrig, schließlich bin ich keine fünfzehn mehr und Callan McDermott interessiert mich nicht im Geringsten.

2

Stillwell war ein kleiner Ort mit rund siebenhundert Einwohnern etwa hundert Meilen südlich von San Antonio in Texas. Wer das erste Mal hierher kam, hatte den Eindruck, mitten in einer Western-Kulisse gelandet zu sein. Die Hauptstraße war gesäumt mit hölzernen Gebäuden, in denen diverse Geschäfte untergebracht waren. Vor den Häusern gab es nach wie vor die Anbindebalken für Pferde, sogar die alten Tränken standen noch überall herum.

Hier befand sich auch die Cactus-Bar, eine Kneipe, die sich jederzeit als Saloon für einen Film geeignet hätte.

Callan parkte seinen Pick-up und betrat die Bar, die wie jeden Abend gut besucht war.

»Hey Cal, du bist aber spät dran heute«, begrüßte sein jüngerer Bruder Jordan ihn und schob ihm ein Bier über den Tresen.

Nachdem er kurz in die Runde genickt hatte, rutschte Callan auf einen Barhocker. »Ja, ich hatte noch etwas zu erledigen.«

Genüsslich nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Glas und schaute sich um. Sein Blick blieb auf dem Po der Kellnerin hängen, die einem Gast gerade ein Steak servierte. »Neue Bedienung?«

»Denk nicht mal dran«, warnte Jordan ihn augenblicklich. »Die Kleine ist minderjährig.«

»Schade.« Callan grinste. »Naja, ich habe sowieso nicht viel Zeit.«

»Hast du noch ein Date?«

»Nein, so kann man das nicht unbedingt nennen«, seufzte Callan, »ich muss den Babysitter für Roses Enkelin spielen.«

Überrascht hob Jordan die Augenbrauen. »Joyce? Das rothaarige Pummelchen mit der Zahnspange und der dicken Brille?«

»Ja, genau die.«

Ein breites Grinsen ging über Jordans Gesicht. »Armer Callan, das ist ja so ziemlich das Schlimmste, was Rose dir antun konnte.«

Callan dachte an Joyce’ Beine, an das winzige, spitzenbesetzte Höschen und an das Versprechen, das er Rose gegeben hatte.

»Oh ja«, murmelte er frustriert und stürzte den Rest seines Biers in einem Zug herunter, »das ist es.«

***

Am Freitagmorgen erwachte Joyce von einem lauten Klopfen an ihrer Zimmertür.

»Aufstehen Sprosse, du musst Frühstück machen.«

Verschlafen blinzelte sie auf die Uhr und stellte fest, dass es gerade erst sechs war. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und riss die Tür auf. »Sag mal McDermott, hast du einen Knall?«

Sie hielt inne, als sie Callan sah, der, nur mit einem Handtuch um die Hüften, vor ihr stand. Seine Haare waren nass, Wassertropfen perlten über seinen gebräunten Oberkörper.

»Wie kannst du am frühen Morgen nur so einen Krach veranstalten?«, fragte sie vorwurfsvoll und bemühte sich, nicht allzu fasziniert auf seine Bauchmuskeln zu starren. »Was machst du überhaupt hier?«

»Ich habe geduscht«, erklärte er überflüssigerweise. »Und sechs Uhr ist bei uns völlig normal, daran wirst du dich gewöhnen müssen.«

Sein Blick wanderte über ihr dünnes Nachthemd, blieb auf ihren Brüsten haften, die sich rund und fest durch den halbtransparenten Stoff abzeichneten. Hastig drehte er sich um und strebte zur Haustür.

»Sieh zu, dass du das Frühstück fertigmachst«, rief er ihr dabei über die Schulter zu.

Kopfschüttelnd schaute Joyce ihm hinterher. »Denk bloß nicht, dass ich mich jetzt die ganze Zeit von dir rumkommandieren lasse, McDermott«, murmelte sie genervt.

Sie klaubte ein paar Sachen aus ihrem Koffer und betrat das angrenzende Bad. Tropische Feuchtigkeit und der Geruch nach einem herben Duschgel schlugen ihr entgegen.

Wieso duscht er eigentlich hier im Haus, fragte sie sich missmutig, während sie die Temperatur überprüfte und sich dann unter die Dusche stellte. Wohlig ließ sie das heiße Wasser auf sich prasseln und streckte sich ausgiebig. Gerade hatte sie ihre Haare einshampooniert, als sich der Strahl plötzlich in einen eisigen Sturzbach verwandelte.

Mit einem Schrei sprang sie aus der Wanne. »Oh Himmel, was ist denn jetzt los?«

Die Augen voller Seife tappte Joyce zu dem großen Boiler, der in einer Ecke an der Wand angebracht war, und legte prüfend ihre Hand darauf.

»Verdammt, McDermott«, fluchte sie aufgebracht, als sie feststellte, dass das Gerät zwar funktionierte, aber sämtliches heißes Wasser verbraucht war.

Verärgert tastete sie sich zur Wanne zurück, stieg wieder hinein und vollendete mit zusammengebissenen Zähnen unter dem eiskalten Strahl ihr Duschbad. Als sie zwanzig Minuten später in Jeans und T-Shirt die Küche betrat, war ihre Laune auf dem Nullpunkt.

***

Nachdem er sich angezogen hatte, setzte Callan sich auf die Veranda und zündete sich eine Zigarette an. Genüsslich inhalierte er den Rauch und dachte dabei über die anstehenden Arbeiten nach. Kurz nach ihm kam Ramon aus den Unterkünften, ein Mexikaner, der zu Roses Leuten gehörte.

»Buenos días«, grüßte er Callan und blieb bei ihm stehen.

»Morgen Ramon. – Wie sieht‘s aus, wollen wir heute …«

Weiter kam Callan nicht, denn im gleichen Moment schrillte ein ohrenbetäubendes Geräusch aus dem Haupthaus.

»Verflucht, das ist der Rauchmelder«, rief er erschrocken und sprang auf.

Hektisch trat er die Zigarette aus und stürmte zum Wohngebäude, gefolgt von Ramon. Mit großen Schritten durchquerte er das Wohnzimmer und riss die Küchentür auf. Das durchdringende Piepsen wurde lauter, Rauchschwaden quollen ihm entgegen, es roch fürchterlich verbrannt.

»Madre de Dios«, entfuhr es Ramon entgeistert.

»Was zum Geier treibst du hier?«, fuhr Callan Joyce an, die völlig aufgelöst vor dem Backofen stand.

»Frag nicht so blöd, hilf mir lieber«, schnauzte sie zurück, während sie sich damit abmühte, ein paar schwarze Brocken aus dem Ofen zu fischen.

Callan schubste sie unsanft zur Seite, riss das Backblech heraus und warf es mit Schwung ins Spülbecken. Unterdessen öffnete Ramon das Fenster und stieg auf einen Stuhl, um den Rauchmelder abzuschalten.

»Sag mal, willst du die ganze Bude abfackeln?«, fragte Callan aufgebracht.

Joyce verzog das Gesicht. »Das war nicht meine Idee, du wolltest doch, dass ich Frühstück mache.«

»Und was hattest du vor, zu servieren? Holzkohle?«

»Brötchen«, murmelte sie kleinlaut, »aber dieser dumme Gasofen heizt irgendwie stärker, als ich dachte.«

»Na toll, das kann ja noch lustig werden«, seufzte er. »Wie willst du hier komplette Mahlzeiten zubereiten, wenn du nicht mal ein einfaches Frühstück zustande bringst?«

»Ich bin schließlich nicht deine Köchin«, fauchte sie ihn an.

Ramon räusperte sich dezent. »Ich warte wohl besser draußen«, sagte er mit einem leichten Grinsen und verschwand.

»Du sollst deine Großmutter vertreten«, erinnerte Callan sie und fügte erklärend hinzu: »Dazu gehört auch die Versorgung der Männer, und wenn Gäste da sind, wollen die ebenfalls Essen haben.«

»Das kriege ich hin, das ist gar kein Problem«, behauptete Joyce trotzig und schaute ihn herausfordernd an.

Er warf ihr einen zweifelnden Blick zu. »Sag mal Sprosse, kannst du überhaupt kochen?«

Mit einem genervten Schnaufen wandte Joyce sich um, griff nach einer Packung Toastbrot und drückte sie ihm vor die Brust. »Weißt du was, McDermott? Wenn du mir das nicht zutraust, kümmerst du dich am besten selbst um das Frühstück.«

Sie drehte sich auf dem Absatz herum und stolzierte aus der Küche, während Callan ihr sprachlos und mit offenem Mund hinterherschaute.

***

»Ich weiß nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist«, sagte Millie Campbell und schaute ihre Schwester Rose Porter zweifelnd an.

Die beiden grauhaarigen Damen saßen auf der Veranda von Millies Haus in Crystal City, etwa eine halbe Stunde Autofahrt von Stillwell entfernt, und frühstückten.

Rose zuckte mit den Achseln. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Einfach ruhig zusehen, wie meine Enkeltochter sich halb nackt für diese Dessousfirma fotografieren lässt?«

»Ich dachte, sie macht nur Modeaufnahmen, um ihr Studium zu finanzieren?«

»Das dachte ich ebenfalls«, knurrte Rose grimmig. »Aber jetzt hat sie ihr Studium beendet, und offenbar hat dieser Agent, der sie vermittelt, ihr da irgendeinen Floh ins Ohr gesetzt. Sie soll das neue Gesicht von Lace-Love werden.«

»Die haben schöne Unterwäsche«, erwiderte Millie pragmatisch. »Ich wette, dass Joyce darin sehr hübsch aussieht.«

»Oh ja, das glaube ich allerdings auch, doch genau das ist ja das Problem. Diese Fotos sind für eine groß angelegte Werbekampagne vorgesehen, und ich will mir gar nicht vorstellen, wie Tausende von Männern sich sabbernd die Bilder anschauen. Und das Gerede hier in Stillwell – Joyce soll eines Tages die Ranch übernehmen, und ich möchte nicht, dass dann alle mit den Fingern auf sie zeigen.« Rose nahm einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und fügte aufgebracht hinzu: »Ich verstehe sowieso nicht, wie Miles das zulassen kann. Manchmal frage ich mich, ob ich bei seiner Erziehung etwas verkehrt gemacht habe.«

»In New York herrschen nun mal andere Sitten.«

»New York«, schnaubte Rose verächtlich. »Ich war nie damit einverstanden, dass er dort hingeht. Hätte er sich damals nicht in diese Cathryn verliebt, als sie ihren Urlaub bei uns auf der Ranch verbrachte, wäre es gar nicht so weit gekommen. Doch er musste sie ja heiraten und zu ihr nach New York ziehen. Und was hat er nun davon? Er ist geschieden, darf jeden Monat eine stattliche Summe Unterhalt an Cathryn zahlen, und seine Tochter posiert für frivole Fotos.«

Es war Rose deutlich anzumerken, dass sie weder mit dem Leben ihres Sohnes noch mit dem Vorhaben ihrer Enkeltochter einverstanden war.

Beruhigend legte Millie ihr eine Hand auf den Arm. »Jetzt reg dich nicht auf, es lässt sich nicht mehr ändern.«

»Solange ich es verhindern kann, wird Joyce diese Bilder nicht machen«, betonte Rose energisch. »Sie bleibt auf der Ranch, bis dieser Fototermin geplatzt ist, dafür werde ich sorgen.«

»Ich bin trotzdem nicht davon überzeugt, dass dein Plan funktioniert. Du solltest vielleicht lieber mit ihr darüber reden.«

Rose schüttelte den Kopf. »Nein. Joyce ist ein Dickschädel, wenn ich versuche, ihr das auszureden, tut sie es erst recht.«

»Und wenn sie herausbekommt, dass du gar nicht im Krankenhaus bist? Was ist, wenn sie dich besuchen will?«

»Keine Sorge, das wird sie nicht. Callan beschäftigt sie, sodass sie gar keine Zeit für andere Dinge hat. Und falls doch, muss ich mir eben etwas einfallen lassen«, erklärte Rose unbekümmert.

Bedächtig bestrich Millie eine Scheibe Toast mit Butter. »Callan«, wiederholte sie dann gedehnt. »Ich möchte lieber nicht darüber nachdenken, womit er Joyce beschäftigt. Du weißt, dass er nichts anbrennen lässt.«

Rose lächelte tiefgründig. »Ja, das weiß ich nur zu gut, er hat mir jedoch hoch und heilig versprochen, Joyce nicht anzurühren.«

***

Nach etwa einer halben Stunde verrauchte Joyce’ Ärger allmählich. Wenn sie ehrlich war, konnte sie Callans Aufregung ja verstehen, immerhin war die Situation nicht ganz ungefährlich gewesen. Aber dass er die Gelegenheit dann auch sofort wieder genutzt hatte, um sich über sie lustig zu machen, gefiel ihr überhaupt nicht.

Während sie auf ihrem Bett saß und überlegte, was sie den restlichen Vormittag anfangen sollte, klopfte es an die Tür.

Auf ihr »Ja« kam Callan herein und warf ihr einen finsteren Blick zu.

»Danke, dass du mich einfach stehengelassen hast«, knurrte er gereizt. »Damit du gleich Bescheid weißt, so läuft das hier nicht. Ich habe keine Lust, deine Großstadt-Allüren auszubaden.«

»Apropos baden«, erwiderte sie vorwurfsvoll, »abgesehen davon, dass das Badezimmer heute Morgen die reinste Sauna war, hast du auch noch das ganze heiße Wasser verbraucht.«

Ein amüsiertes Grinsen glitt über Callans Gesicht, während er sich bemühte, sich Joyce nicht nackt unter der Dusche vorzustellen. »Oh, das tut mir sehr leid, wirklich.«

Sein Ton war spöttisch, und Joyce beschlich das dumpfe Gefühl, dass der Boiler nicht unabsichtlich leer geworden war. Sie stand auf und schaute ihn kampfeslustig an. »Du wirst in Zukunft woanders duschen, McDermott«, bestimmte sie energisch, »zumindest, solange ich hier bin.«

Einen Moment starrte er sie verblüfft an, und sie rechnete mit Widerspruch, doch dann wechselte er abrupt das Thema.

»Ich bin heute mit den Männern draußen auf der großen Pferdekoppel am Willow Creek, wir wollen die Zäune erneuern«, erklärte er ruhig. »Kriegst du es hin, bis zum Mittag ein vernünftiges Essen zu kochen und vorbeizubringen, oder muss ich das vielleicht auch wieder selbst machen?«

Obwohl sie ihm am liebsten gesagt hätte, er solle sich zum Teufel scheren, nickte sie. »Ja, klar. Was darf es denn sein?«, fragte sie übertrieben unterwürfig. »Wie wäre es mit einem Drei-Gänge-Menü?«

»Ein einfaches Chili würde schon ausreichen.«

»Natürlich, wie es dem Herrn beliebt«, erwiderte sie weich, doch der sarkastische Unterton war nicht zu überhören.

Er machte einen Schritt auf Joyce zu und beugte sich zu ihr herunter. Mit seinem Gesicht dicht vor dem ihren funkelte er sie an. »Hör zu Sprosse, ich habe mir das auch nicht ausgesucht, mir gefällt das Ganze genauso wenig wie dir. Aber wir müssen hier eine Weile miteinander auskommen, und ich habe keine Lust, mich dauernd mit dir herumzuärgern. Also reiß dich zusammen, mach das, was ich dir sage, und zwing mich nicht dazu, andere Saiten aufzuziehen.«

Seine Augen blitzten und er war ihr so nahe, dass sie den Duft des Duschgels wahrnehmen konnte, welches sie bereits am Morgen im Bad gerochen hatte.

Instinktiv wich sie einen Schritt zurück. »Willst du mir etwa drohen, McDermott?«

»Oh nein«, lächelte er sanft, »das war ein Versprechen.«