Plan B wie Baby

Ebook & Taschenbuch

Nichts wünscht sich die dreißigjährige Claire Chapman sehnlicher, als Mutter zu werden. Sobald es jedoch um Liebesdinge geht, verwandelt sie sich in einen absoluten Tollpatsch, der jeden Mann nach kürzester Zeit in die Flucht schlägt. Da sie ihre biologische Uhr immer lauter ticken hört, überreden ihre Freundinnen sie zu einem Ranch-Urlaub und entwickeln einen abenteuerlichen Plan – Plan B wie Baby …

Kapitel 1

»Ihr ahnt ja nicht, was ich für Neuigkeiten habe.«

Mit einem freudigen Lächeln ließ Ashley Simpson sich an dem kleinen Tisch nieder, wo ihre beiden besten Freundinnen Jennifer Harms und Claire Chapman bereits saßen und sie erwartungsvoll anschauten.

Wie an jedem Donnerstag waren die drei jungen Frauen auch heute im Café 21 in Downtown Pittsburgh verabredet, um den aktuellsten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Mit diesen Treffen hatten sie während ihrer gemeinsamen Zeit an der Wilkinsburg Senior Highschool begonnen und diese Tradition bis zum heutigen Tag fortgesetzt.

»So wie du strahlst, muss es ja etwas ganz Tolles sein«, stellte Jennifer fest, »also spann uns nicht auf die Folter, raus mit der Sprache.«

Ashley holte noch einmal tief Luft. »Ich bin schwanger«, verkündete sie dann überglücklich.

»Was?« Jennifer sprang auf und fiel der Freundin um den Hals.«Oh Ash, das freut mich ja so für dich.«

Claire tat es ihr gleich. »Das ist toll, herzlichen Glückwunsch.«

»Wann ist es denn so weit?«, wollte Jennifer wissen.

»Ich bin in der Mitte des zweiten Monats, also wird es voraussichtlich am 16. Oktober zur Welt kommen.«

Während Ashley ausführlich von ihrem Arztbesuch berichtete, fragte Claire sich abwesend, ob sie jemals ein eigenes Baby im Arm halten würde. Vermutlich nicht, dachte sie bekümmert, sie hatte ja nicht mal einen Freund, wohingegen ihre Freundinnen bereits seit Längerem unter der Haube waren.

Die blonde Jennifer war mit Ethan, einem Softwareentwickler, verheiratet, und die schwarzhaarige Ashley lebte schon vier Jahre mit einem Börsenmakler namens Tom zusammen. Jennifer hatte inzwischen eine sechs Monate alte Tochter, und nun war Ashley ihrem Beispiel gefolgt und würde ebenfalls bald Mutter werden. Obwohl sie Ashley ihr Glück von ganzem Herzen gönnte, empfand Claire auf einmal einen Anflug von Neid – noch nie hatte sie ihre biologische Uhr lauter ticken hören, als in diesem Moment.

»Hey Claire, schau nicht so deprimiert«, sagte Ashley jetzt, als sie das traurige Gesicht der Freundin bemerkte.

»Entschuldige«, murmelte sie, »ich wollte dir die Freude nicht verderben, es ist nur …« Sie stockte und schwieg.

Ashley legte ihr mitfühlend eine Hand auf den Arm. »Schon gut Süße, ich kann dich ja verstehen. Aber du solltest den Kopf nicht hängen lassen, bestimmt wirst du auch bald einen netten Mann finden und Schwupps – hast du ein ganzes Rudel Kinder und sehnst dich nach dieser unbeschwerten und sorglosen Zeit zurück.«

»Du hast gut reden.« Claire nippte an ihrem Chai Latte. »In ein paar Monaten werde ich dreißig. Wenn sich nicht schleunigst etwas tut, ende ich als alte Jungfer, die mit zwanzig Katzen in einem heruntergekommenen Haus wohnt und wirres Zeug vor sich hin brabbelt.«

Die Freundinnen lachten.

»Na, bevor es so weit kommt, lassen wir uns etwas einfallen«, grinste Jennifer. »Apropos – wie war denn das Treffen mit Jerald?«

Claire verdrehte die Augen. »Frag lieber nicht.«

»So schlimm?«

»Schlimmer.«

Mit Schaudern erinnerte Claire sich an das Blind Date mit einem Arbeitskollegen von Jennifers Mann, eines von mehreren, das die beiden Freundinnen in den letzten Monaten für sie eingefädelt hatten. Und genau wie bei Paul, Elliott und Frank zuvor war sie so nervös gewesen, dass alles schiefgegangen war.

Jerald hatte sie von zu Hause abgeholt und ihr einen Strauß gelber Rosen überreicht. Als er sie zur Begrüßung auf die Wange küssen wollte, fuchtelte sie so ungeschickt mit den Blumen herum, dass die Dornen ihm das halbe Gesicht zerkratzten.

Danach bekam sie einen Schluckauf und zitterte dermaßen, dass sie den Sicherheitsgurt nicht schließen konnte. Er beugte sich über sie, um ihr zu helfen, sie zuckte zusammen und verpasste ihm versehentlich mit dem Kopf einen Kinnhaken. Obwohl Jerald höflich genug war, sich nichts anmerken zu lassen, verlief das Essen in einem teuren Restaurant mehr schlecht als recht. Claire brachte weder einen Bissen herunter noch einen Ton heraus, und war erleichtert, als Jerald endlich die Rechnung verlangte. Zum krönenden Abschluss hatte sie sich irgendwie im Tischtuch verhakt und zog dieses mit sich, als sie aufstehen wollte, sodass die beiden Weingläser und die Tischdekoration mit lautem Klirren auf dem Boden landeten. Alle Köpfe drehten sich zu ihnen, und mit hochrotem Gesicht und Tränen in den Augen stürzte Claire aus dem Lokal, gefolgt von einem peinlich berührten Jerald.

Dass der Abschied dann eher frostig ausfiel, war klar gewesen, ebenso wie die Tatsache, dass Jerald sich seitdem nicht mehr bei ihr gemeldet hatte – genau wie die anderen zuvor.

Sie wusste nicht, woran es lag, aber sobald ein Mann in ihrer Nähe war, der sie interessierte, benahm sie sich so tollpatschig wie ein Elefant im Porzellanladen. Wahrscheinlich war es ihre mangelnde Erfahrung. Ihr erstes und bisher einziges Erlebnis mit dem anderen Geschlecht hatte sie gegen Ende ihres letzten Highschooljahres gemacht. Etwa drei Monate war sie mit Adam Perkins, einem schüchternen Jungen aus ihrer Klasse, zusammen gewesen. Ihre unbeholfene Knutscherei und Fummelei gipfelte schließlich in einem ebenso linkischen Liebesakt auf dem Rücksitz seines Wagens, bei dem sie ihre Unschuld verlor. Kurz darauf war ihre Mutter krank geworden, und Claire hatte keine Zeit mehr gehabt, sich mit Adam zu treffen. Während Ashley und Jennifer oft ausgegangen waren und sich amüsiert hatten, hatte sie sich in jeder freien Minute um ihre Mutter gekümmert. Nach der Highschool hatte sie sich mit einer kleinen Webdesignagentur selbstständig gemacht, damit sie von zu Hause aus arbeiten konnte. Trotz der großen Konkurrenz lief das Geschäft so gut, dass sie inzwischen sogar eine Mitarbeiterin beschäftigte, doch manchmal wünschte sie sich, sie hätte einen gewöhnlichen Bürojob, sodass sie mehr unter Leute käme.

Vor einem halben Jahr war ihre Mutter gestorben und seitdem versuchte Claire, das Versäumte nachzuholen – bisher allerdings ohne Erfolg.

»Es wird nie klappen«, seufzte sie jetzt, »ich bin einfach nicht so selbstbewusst und attraktiv wie ihr. Außerdem bin ich zu dick, meine Haare hängen herunter wie Spaghetti, und mit der Brille wirke ich wie eine Lehrerin – verknöchert und langweilig.«

»Das ist doch Unsinn«, betonte Ashley, »du bist eine wunderbare Frau, und wenn die Kerle das nicht erkennen, können sie dir sowieso gestohlen bleiben.«

»Es geht mir ja auch gar nicht so sehr um einen Mann, ich komme prima alleine klar«, murmelte Claire trübsinnig. »Was ich will, ist ein Baby.«

Jennifer grinste. »Dafür gibt es andere Lösungen.«

»Künstliche Befruchtung mit einer Samenspende? Auf gar keinen Fall, wer weiß, welche Gene das Kind dann bekommt. Es heißt zwar, man könne sich das aussuchen, ich bezweifle jedoch, ob die wirklich alles ganz genau überprüfen. Das ist mir viel zu unsicher.«

»Das meinte ich doch gar nicht. Warte, bis der passende Zeitpunkt da ist, zieh dir etwas Verruchtes an, geh in eine Bar, reiß dir einen Typen für eine Nacht auf und Bingo.«

Entsetzt starrte Claire die Freundin an. »Aber sonst geht es dir gut, ja? Ich werde bestimmt nicht durch irgendwelche Nachtklubs tingeln und wildfremde Männer abschleppen. Am Ende gerate ich noch an irgendeinen perversen Massenmörder.«

»Jenny hat gar nicht so unrecht«, sagte Ashley nachdenklich. »Es muss ja nicht gerade ein One-Night-Stand mit einem Unbekannten sein.«

»Ach, willst du mir etwa deinen Tom leihen?«, fragte Claire trocken.

»Quatsch. Aber wie wäre es mit einer Urlaubsbekanntschaft? Wenn du für ein paar Wochen wegfährst, hast du Zeit genug, den potenziellen Kandidaten kennenzulernen, und kannst es in Ruhe angehen. Eine Bekannte von mir, Doreen, war vor einer Weile auf einer Ranch in Idaho, und sie hat erzählt, dass einer der beiden Besitzer nicht abgeneigt war, mit sämtlichen weiblichen Gästen anzubandeln. Er soll sogar wahnsinnig gut aussehen – das wäre eine prima Möglichkeit.«

Jennifer nickte zustimmend. »Ich finde, das ist ein guter Plan.«

»Ihr habt ja alle beide einen Knall«, erwiderte Claire kopfschüttelnd, »ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ich mich auf so etwas einlassen würde.«

Claire hatte den verrückten Vorschlag ihrer Freundinnen genauso schnell wieder vergessen, wie er aufgetaucht war, aber inzwischen dachte sie ernsthaft darüber nach.

Ein Monat war mittlerweile vergangen, es war Ende April, und die letzten Wochen hatten dazu geführt, dass sie Ashleys Idee nun doch in Erwägung zog.

An Ostern war sie bei Jennifer und Michael gewesen, wo sich deren ganze Familie versammelt hatte. Natürlich waren es nur Paare mit Kindern gewesen, und obwohl sie wusste, dass die Freundin es gut gemeint hatte und ihr ersparen wollte, mutterseelenallein zu Hause zu sitzen, hatte sie sich wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Am darauffolgenden Wochenende hatte Ashley Geburtstag gehabt. Sie und Robert hatten eine große Party gegeben und für Claire extra einen ledigen Bekannten eingeladen. Wie üblich war es jedoch zu einigen peinlichen Zwischenfällen gekommen, sodass sie sich nach kurzer Zeit fluchtartig verabschiedet hatte.

Allmählich war sie der Verzweiflung nahe. Sie war ein hoffnungsloser Fall, das war ihr inzwischen klar, und wenn sie nicht ihr restliches Leben allein verbringen wollte, musste irgendetwas passieren. Also hatte sie die Freundinnen für das nächste Treffen zu sich nach Hause gebeten und Ashleys Vorschlag wieder zur Sprache gebracht.

Jetzt saßen die drei Frauen in Claires Büro vor dem Computer und schauten sich auf der Webseite des Ferien-Hotels um, dessen Adresse Ashley sich von ihrer Bekannten hatte geben lassen.

»Die Seite sieht nicht besonders toll aus«, stellte Claire mit dem versierten Blick der Webdesignerin fest, nachdem sich das Fenster geöffnet hatte.

»Die beiden Kerle dafür umso mehr«, verkündete Jennifer beeindruckt. »Himmel, das sind ja richtige Cowboys – und was für Leckerbissen.«

Wie gebannt starrten die Freundinnen auf die Bilder der zwei Männer, die verwaschene Jeans, karierte Hemden und schwarze Stetsons trugen.

Dillon Belmont, laut Beschreibung vierunddreißig Jahre alt, war groß und breitschultrig, mit schmalen Hüften und zweifelsfrei muskulösen Oberschenkeln unter der engen Hose. Sein dunkles Haar wellte sich im Nacken, ein paar Strähnen fielen ihm in die Stirn. Blaue Augen über einer geraden Nase lächelten freundlich in die Kamera, die sinnlichen Lippen entblößten eine Reihe gleichmäßiger, weißer Zähne. Ein Bartschatten überzog die Wangen und das kantige Kinn und ließ ihn sehr männlich wirken.

»Das hier ist er«, erklärte Ashley und tippte auf das andere Bild, »Doreen hat gesagt, er ist blond und heißt Nash.«

Körperlich war Nash Belmont das Ebenbild seines älteren Bruders, er wirkte ebenfalls durchtrainiert und kräftig. Im Gegensatz zu Dillon waren seine Haare allerdings dunkelblond, seine Augen von einem warmen Braunton, seine Gesichtszüge weniger streng und energisch, dennoch war er genauso attraktiv.

Während Ashley und Jennifer fast dahin schmolzen, und verzückte Ah’s und Oh’s von sich gaben, starrte Claire entsetzt das Foto an.

»Vergesst es«, stieß sie panikartig hervor, »vergesst das Ganze wieder.«

Ashley runzelte die Stirn. »Wieso denn? Gefällt er dir nicht?«

»Doch, er sieht toll aus«, erklärte Claire unglücklich, »aber genau das ist ja das Problem. Schaut ihn euch an – glaubt ihr ernsthaft, er würde auch nur einen Blick an mich verschwenden? Dieser Mann ist unerreichbar für mich.«

»Unsinn«, widersprach Jennifer, »bevor du losfährst, unterziehen wir dich noch einem Rundum-Styling, und dann klappt das schon.«

»Richtig«, pflichtete Ashley ihr bei. »Abgesehen davon hat Doreen erzählt, dass er wirklich nichts anbrennen lässt, du hast also gute Chancen.«

Claire verzog das Gesicht. »Na vielen Dank.«

»So habe ich das nicht gemeint«, beschwichtigte Ashley sie rasch.

»Außerdem – wie stellt ihr euch das eigentlich vor? Selbst wenn ich es irgendwie schaffen sollte, ihm näherzukommen – ich werde ihn bestimmt nicht in drei Wochen dazu bringen, mit mir zu schlafen, und dann müsste es ja auch noch der passende Zeitpunkt sein.«

»Dann bleibst du eben länger. Du hattest all die Jahre keinen Urlaub, also könntest du dir ruhig zwei oder Monate eine Auszeit gönnen. Falls es nötig ist, kannst du mit deinem Laptop sicher auch dort arbeiten, und Karen hält solange hier im Büro die Stellung.«

»Angenommen, das klappt alles – er wird doch sicher auf Kondomen bestehen«, gab Claire zu bedenken.

»Sag ihm einfach, du hättest eine Latex-Allergie und würdest die Pille nehmen.«

»Und was ist mit irgendwelchen Krankheiten? AIDS oder so? Ich habe keine Lust, mich mit irgendetwas anzustecken.«

»Du sollst ja nicht sofort mit ihm ins Bett gehen. Wichtig ist, dass du erst einmal deine Ängste überwindest, und lernst, locker zu werden. Taste dich langsam an ihn heran, flirte ein bisschen und lass die Dinge in aller Ruhe auf dich zukommen. Sobald ihr euch dann etwas nähergekommen seid und der Punkt X erreicht ist, sprichst du das Thema vorsichtig an. Es ist heutzutage völlig normal, dass man darüber redet, er wird sich nichts dabei denken.«

»Na toll. Das wird doch niemals funktionieren.«

»Das wirst du nicht herausfinden, wenn du es nicht wenigstens probierst«, widersprach Ashley. »Also, was ist nun? Sollen wir dir jetzt einen Aufenthalt buchen?«

»Na gut«, stimmte Claire schließlich zögernd zu, »ich könnte es zumindest versuchen.«

Zufrieden klickte Jennifer auf den Link zur Mailadresse. »Prima, damit ist Plan B offiziell gestartet.«

»Plan B?«, fragte Claire stirnrunzelnd.

Die Freundin grinste. »Plan B wie Baby.«

Kapitel 2

»Hallo, ist Nash da?«, flötete eine Frauenstimme aus dem Telefon.

»Mit wem spreche ich?«

»Suzy.«

Dillon Belmont wiederholte den Namen und seufzte kaum hörbar, als sein Bruder Nash eine abwehrende Geste machte und lebhaft den Kopf schüttelte.

»Tut mir leid, er ist nicht da«, log er.

»Aber er hat versprochen, sich bei mir zu melden.« Jetzt klang die Stimme anklagend und enttäuscht, eine Mischung, die Dillon nur allzu gut kannte. »Wann ist er denn wieder da?«

»Er ist für eine Weile verreist. Ich richte ihm aus, dass Sie angerufen haben, Sunny.«

»Suzy, mein Name ist Suzy.«

»Natürlich … Suzy. Also, auf Wiederhören.«

Rasch legte Dillon auf, bevor die Anruferin noch etwas erwidern konnte, und warf seinem Bruder einen missbilligenden Blick zu.

»Das war bereits die Dritte in dieser Woche«, sagte er vorwurfsvoll. »Langsam bin ich es leid, dauernd deine Bettbekanntschaften abzuwimmeln.«

»Jetzt komm schon, nur weil du wie ein Mönch lebst, muss ich mir doch nicht auch jeden Spaß verkneifen.«

Dillon schnaufte. »Ich habe nichts gegen Spaß, aber es wäre mir lieb, wenn du deine Finger von unseren Gästen lassen würdest. Du wirst es noch schaffen, unser Hotel in Verruf zu bringen.«

»Ich glaube, das Gegenteil trifft eher zu«, grinste Nash.

Im Stillen musste Dillon sich eingestehen, dass sein Bruder recht hatte. Sie führten zusammen eine Ferien-Ranch, deren Schwerpunkt auf Wellness lag, und die vor allem weibliche Besucher anlockte. Neben Sauna, Fango und Massage war Nashs Charme fester Bestandteil des Service, und nur zu gerne ließen sich die Frauen mit ihm auf eine Entspannung der besonderen Art ein.

»Trotzdem habe ich keine Lust, hier dauernd die Telefonseelsorge zu spielen, weil du deine Hose nicht zulassen kannst«, brummte Dillon unwirsch. »Meine Güte, du bist einunddreißig, allmählich müsste sich dein Testosteronspiegel doch mal im normalen Bereich bewegen.«

»Es liegt nicht an mir«, behauptete Nash. »Ich könnte sehr gut ohne Sex auskommen.«

Laut prustend schlug Dillon sich auf die Schenkel. »Ja, sicher. Du opferst dich nur, damit die Damen nicht enttäuscht sind.«

»So ist es.« Nash warf seinem Bruder einen verletzten Blick zu. Als dieser jedoch nicht aufhören wollte, zu lachen, hob er trotzig das Kinn. »Okay, wenn du mir nicht glaubst – wie wäre es mit einer Wette?«

»Wette?«

»Einen Monat keinen Sex.«

»Zu wenig. Mindestens drei.«

»Drei? Du hast wohl einen Knall, das ist viel zu lange.«

Dillon machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich dachte mir schon, dass du kneifst.«

»Ich kneife nicht.« Nash rechnete kurz. »Sagen wir, bis zum Wochenende nach dem Seifenkistenrennen am Independence Day. Heute ist der 10. Mai, das sind also genau zwei Monate, die halte ich locker durch.«

»Dir ist doch klar, dass du verlieren wirst«, schmunzelte Dillon. »Aber gut, ich bin einverstanden. Was ist der Einsatz?«

Nash überlegte einen Moment. »Wenn ich gewinne, bekomme ich deinen Wagen.«

»Meinen Wagen«, wiederholte Dillon trocken. »Vergiss es.«

Es handelte sich um ein altes Buick Series 80 Roadmaster Cabriolet von 1938, das noch von ihrem Urgroßvater stammte und von Dillon liebevoll gehegt und gepflegt wurde. Das Auto war sein ganzer Stolz, und Nash hatte bereits mehrmals vergeblich versucht, es ihm abzuschwatzen.

»Na komm schon, einen kleinen Anreiz muss ich doch haben. Und da du so sicher bist, dass ich es sowieso nicht schaffe, gehst du ja kein Risiko ein.«

Dillon zögerte einen Moment. »Also gut«, stimmte er schließlich zu. »Und was bietest du?«

»Ich übernehme für ein Jahr die Buchhaltung.«

»Einverstanden. Enthaltsamkeit bis zum 9. Juli ab morgen.«

Die beiden Brüder besiegelten ihre Wette mit einem Handschlag, und Nash grinste.

»Dann gehe ich mich heute noch mal richtig austoben.«

Er verließ den Raum, und Sekunden später heulte draußen der Motor seines Ford Mustang auf.

Mit einem Kopfschütteln setzte Dillon sich wieder an den Schreibtisch und hoffte inständig, dass es kein Fehler gewesen war, seinen geliebten Oldtimer aufs Spiel zu setzen.

Ich muss völlig bescheuert sein, dachte Claire, als sie am vorletzten Montag im Mai das Gebäude des Regional Airport in Idaho Falls verließ. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie sich tatsächlich auf diese verrückte Geschichte eingelassen hatte. Angenommen, es klappte alles – würde sie es denn überhaupt fertigbringen, bis zum Äußersten zu gehen? Dem Foto nach war Nash ein attraktiver Mann, doch ob das ausreichte, um mit ihm zu schlafen? Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, Sex ohne Gefühle zu haben. Aber vielleicht entwickelte sich das Ganze ja noch, sobald sie ihn erst ein wenig besser kennengelernt hatte.

​​ Suchend schaute sie sich nach dem Fahrer um, der sie abholen sollte. Das erwies sich allerdings als schwierige Aufgabe, denn sie sah alles leicht verschwommen. Neben einer gründlichen Generalüberholung und Styleberatung hatten Ashley und Jennifer sie überredet, statt ihrer gewohnten Brille Kontaktlinsen zu benutzen, doch die hatte sie während des Fluges herausnehmen müssen, weil ihr die Augen tränten.

Unsicher stand sie nun vor dem Ausgang und blinzelte kurzsichtig in die Umgebung.

»Claire Chapman?«, erklang plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihr.

»Ja?« Erschrocken fuhr sie herum und hätte dabei beinahe ihren Schirm, den sie unter den Arm geklemmt hatte, zwischen die Beine eines Mannes gerammt, es gelang ihm gerade noch, auszuweichen.

»Entschuldigung«, stieß sie hastig heraus.

»Schon gut, es ist nichts passiert«, nickte er, schob seinen Hut ein Stück zurück und reichte ihr dann die Hand. »Ich bin Dillon Belmont.«

Sobald Claire registrierte, dass es sich um den ‚falschen‘ Bruder handelte, entspannte sie sich. »Claire Chapman, sehr erfreut.«

Nachdem sie sich begrüßt hatten, schnappte Dillon sich Claires Koffer und ging voraus, bis sie einen silbernen Chevrolet Express mit der Aufschrift ‚Belmont-Ranch‘ erreichten. Wenig später hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und fuhren in Richtung Westen. Während Dillon den Van mit sicherer Hand über den Highway steuerte, kramte Claire ihre Brille aus der Tasche und schaute aus dem Fenster. Die Landschaft war überwältigend, vor allem die Gebirgsketten der Rocky Mountains, denen sie sich allmählich näherten. Vereinzelt waren die Gipfel noch mit Schnee bedeckt und leuchteten in der Sonne, unterhalb der zerklüfteten Spitzen grünte und blühte es.

»Wir duzen uns hier übrigens alle, ich hoffe, das ist in Ordnung?«, durchbrach Dillon nach einer Weile das Schweigen. Claire nickte, und er fuhr fort: »Du kommst also aus Pittsburgh – bist du zum ersten Mal hier in Idaho?«

»Ja. Ich hatte bisher leider nicht viel Gelegenheit, zu verreisen.«

»Aha, dann hast du wohl deshalb gleich einen zweimonatigen Aufenthalt gebucht, wie?«, schmunzelte er.

»Äh … so ungefähr«, erwiderte sie verlegen.

»Nicht dass ich mich darüber beklagen will«, fuhr Dillon augenzwinkernd fort, »ich fand es nur ein wenig ungewöhnlich. Aber es wird dir bei uns sicher gefallen. Neben unseren Wellnessangeboten gibt es noch eine Menge anderer Freizeitaktivitäten, langweilig wird es dir also bestimmt nicht werden.«

»Das hört sich gut an«, lächelte Claire und verdrängte den Gedanken an die speziellen Aktivitäten, die sie geplant hatte.

Nach knapp eineinhalb Stunden fahrt verließ Dillon den Highway und lenkte den Wagen über eine Nebenstraße direkt auf die Bergkette zu, welche die ganze Zeit zu ihrer Linken gelegen hatte. In der Ferne konnte Claire einen weißen Kirchturm ausmachen und kurz darauf durchquerten sie einen kleinen Ort.

»Das ist Elkpoint«, erklärte Dillon, »der Dreh- und Angelpunkt im White Pine Valley. Es gibt einen Store, in dem du so ziemlich alles bekommst, eine Bank, eine Post, diverse andere Läden, ein Diner, eine Bar und sogar ein Kino.«

Claire betrachtete die bunt gestrichenen Fassaden der Häuser, in denen die Geschäfte untergebracht waren, dann hatten sie die Stadt auch schon wieder hinter sich gelassen und bogen auf einen schmalen Weg ab. Sie fuhren am Fuß der Berge entlang und es dauerte nicht lange, bis sie nach nochmaligem Abbiegen eine Ansammlung von Gebäuden erreichten.

Direkt vor dem Eingang des Haupthauses brachte Dillon den Kleinbus zum Stehen.

»Wir sind da – herzlich willkommen auf der Belmont-Ranch.«

»Ich zeige dir zuerst dein Zimmer«, schlug Dillon vor, nachdem er Claires Koffer aus dem Auto genommen und sie ins Haus begleitet hatte. Sie standen in einer geräumigen Eingangshalle, die üppig mit Grünpflanzen dekoriert war. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte man durch eine verglaste Doppeltür in einen begrünten Innenhof sehen, rechter Hand führte eine Treppe in die obere Etage.

​​ Er deutete auf eine breite Tür. »Da ist der Gemeinschaftsraum für die Gäste, dort werden auch die Mahlzeiten eingenommen. Um halb sieben gibt es Abendessen, bis dahin kannst du dich frisch machen und dich ein wenig von der Reise erholen.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, stieg er die Treppe hinauf, und Claire folgte ihm. Oben angekommen öffnete er eine der Türen, die vom Flur abzweigten.

»Bitte schön, das ist dein Reich.« Er legte den Koffer aufs Bett und nickte ihr zu. »Also dann, bis später. Solltest du noch irgendetwas brauchen, findest du mich unten im Büro, gleich links neben dem Eingang. Eine komplette Führung gibt es morgen, wenn du ausgeruht bist.«

»Okay. Eine Frage hätte ich allerdings: Habt ihr WLAN?«

Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Nein, tut mir leid. Falls du unbedingt Internet benötigst, kannst du gerne den Anschluss im Büro benutzen.«

»Ich müsste nur sporadisch mal an meine Mailbox.«

»Kein Problem, sag einfach Bescheid.«

»In Ordnung, vielen Dank.«

Dillon verschwand und neugierig sah Claire sich um. Der Raum war nicht übermäßig groß, aber sauber und gemütlich. Ein bequem aussehendes Doppelbett mit einem Rahmen aus weiß lackiertem Holz stand an einer Wand, zusammen mit zwei dazu passenden Nachttischen. Auf einem lindgrünen Überwurf hatte man einen flauschigen Bademantel drapiert, darauf lag ein Sträußchen aus Lavendelzweigen, die einen angenehmen Duft verbreiteten. Links davon befand sich ein Kleiderschrank, rechts eine Kommode mit einem kleinen Flachbildfernseher sowie einer Karaffe mit Wasser und zwei Gläsern. Vor dem Fenster lud ein bequemer Sessel zum Kuscheln und Verweilen ein, auf einem Beistelltisch war eine Schale mit frischem Obst angerichtet.

Als Claire die Spitzengardine beiseiteschob und hinaussah, hielt sie unwillkürlich den Atem an. Der Ausblick war fantastisch. Die majestätischen Berge waren zum Greifen nah, gesäumt mit Douglas Tannen und Weißkiefern, davor erstreckten sich goldgelbe Weizenfelder und sattgrüne Wiesen, auf denen Leimkraut, Drehwurz und Wunderblumen blühten. Hingerissen stellte sie fest, dass dieser Fleck Erde hier einmalig schön war, doch schließlich wandte sie sich mit einem Seufzen ab.

So romantisch diese Szenerie auch war, sie war nicht wegen der tollen Aussicht hier, sondern um sich ihren Babywunsch zu erfüllen – mit einem wildfremden Mann. Bei dem Gedanken daran wurde ihr sofort wieder flau im Magen. Sekundenlang war sie versucht, ihren Koffer zu nehmen und zu verschwinden. Dann riss sie sich jedoch zusammen und hielt sich vor Augen, dass sie nicht ihr ganzes restliches Leben als alleinstehender, männerphobischer Problemfall verbringen wollte. Und wie Jennifer beim Abschied noch so treffend bemerkt hatte, beabsichtigte sie ja nicht, Nash Belmont zu heiraten – sie musste lediglich ein paar Mal mit ihm schlafen.

Kapitel 3

Nachdem Claire ihre Sachen ausgepackt und sich in dem angrenzenden, komfortabel ausgestatteten Bad eine Dusche gegönnt hatte, überlegte sie, was sie anziehen sollte. Sehr wahrscheinlich würde das Objekt ihrer Begierde auch beim Abendessen sein und sie wollte bei ihrer ersten Begegnung unbedingt einen guten Eindruck machen. Das praktische Geschäftsoutfit, das sie auf der Reise getragen hatte, kam also nicht infrage, außerdem war es zerknittert und verschwitzt. Sie kramte in den Kleidungsstücken herum, die sie zusammen mit Ashley und Jennifer extra für ihre Mission gekauft hatte. Schließlich entschied sie sich für eine enge Jeans, in der sie sich zwar wie eine Presswurst fühlte, von der die Freundinnen ihr aber versichert hatten, dass sie darin toll aussähe. Dazu wählte sie einen hellblauen Strickpullover, der zu ihren blauen Augen passte und einen schönen Kontrast zu ihren blonden Haaren bildete.

Genau diese Haare trieben sie allerdings Sekunden später fast zur Verzweiflung. Die voluminöse, lockige Fülle, die der teure Friseur ihr vor ihrer Abreise gezaubert hatte, war durch den feuchten Wasserdampf der Dusche einer schlaffen, traurig herabhängenden Strähnenlandschaft gewichen. So sehr sie auch versuchte, mit Föhn und Rundbürste dagegen anzukämpfen, es war vergeblich und nach einer Weile gab sie es resigniert auf. Sie nahm die Haarspange, die sie in weiser Voraussicht eingepackt hatte, aus ihrem Kosmetikbeutel, drehte die Haare am Hinterkopf zusammen und steckte sie fest.

Ein rascher Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass keine Zeit mehr blieb, die neu erworbenen Schminkutensilien auszuprobieren. Daher setzte sie lediglich ihre Kontaktlinsen ein und hoffte, dass sie das Abendessen ohne größere Tränenfluten hinter sich bringen würde. Nach einem letzten, tiefen Atemzug trat sie auf die Galerie hinaus, stieg auf wackeligen Beinen die Treppe hinunter und betrat den Gemeinschaftsraum.

Ein Teil des geräumigen Zimmers war als Wohnbereich hergerichtet, mit zwei breiten Ledersofas, einigen Sesseln und kleinen Tischen, einem gut gefüllten Bücherregal sowie einem Fernsehgerät. Dicke Teppiche lagen auf dem polierten Holzfußboden, an den Wänden hingen diverse, gerahmte Fotos, ein gemauerter Kamin versprach behagliche Winterabende und auch hier waren überall Grünpflanzen verteilt.

Die andere Hälfte wurde von sechs Esstischen dominiert, die jeweils Platz für vier Personen boten. Neben einer Anrichte gab es noch einen ausladenden Vitrinenschrank, hinter dessen Glastüren man Geschirr und Gläser sehen konnte, beides war aus dem gleichen hellen Holz wie die übrigen Möbel.

Alles war schon für das Abendessen eingedeckt. Auf lindgrünen Tischdecken standen weiße Teller mit einem floralen Muster, Gläser sowie Karaffen mit frisch gepresstem Fruchtsaft und Wasser bereit; Blumenvasen mit verschiedenfarbigen Gerbera sorgten für eine sommerliche Atmosphäre.

An einem der Tische saß sich ein älteres Ehepaar gegenüber und plauderte angeregt miteinander. Vor dem großen Panoramafenster, durch das man in den Innenhof schauen konnte, scherzten zwei junge Frauen mit einem Mann, den Claire sofort als Nash identifizierte. Augenblicklich schoss ihr Puls in die Höhe und sie war froh, dass Dillon in diesem Moment auf sie zukam.

»Da bist du ja«, begrüßte er sie, »dann kann ich dich gleich mit ein paar anderen Gästen bekanntmachen. Das hier«, er deutete auf das Ehepaar, »sind Louise und Raymond aus New York, die beiden jungen Damen dort drüben sind Frida und Inger aus Dänemark, und das daneben ist mein Bruder Nash. – Leute, das ist Claire aus Pittsburgh.«

Alle grüßten freundlich, Claire murmelte ein zurückhaltendes »Guten Abend« in die Runde, danach kam Nash auf sie zu und gab ihr die Hand.

»Hi Claire«, lächelte er, »ich bin Nash, willkommen auf der Belmont-Ranch. Ich hoffe, du wirst deinen Aufenthalt bei uns genießen, und falls du irgendeinen Wunsch hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden.«

​​ »Hallo«, presste Claire verlegen heraus, während ihr gleichzeitig sarkastisch durch den Kopf schoss, ob Nash wohl immer noch so nett wäre, wenn er wüsste, welchen Wunsch sie hatte.

Sie lief feuerrot an und befürchtete, man könne ihr die Gedanken vom Gesicht ablesen. Weitere Gäste kamen herein, die Dillon ihr ebenfalls vorstellte, sie konnte sich jedoch nicht alle Namen merken.

»Hier kommt das Essen«, rief wenig später eine weibliche Stimme und eine rundliche Frau von etwa sechzig Jahren betrat den Raum.

In den Händen trug sie ein großes Tablett mit dampfenden Schüsseln, die sie rasch verteilte.

»Das ist Martha, unsere gute Seele«, erklärte Dillon. »Sie sorgt für das leibliche Wohl unserer Gäste.«

Er schob Claire auf einen Stuhl neben Nash zu, der an einem Tisch mit den zwei Däninnen Platz genommen hatte. »Wir haben keine feste Sitzordnung, für heute kannst du dich erst mal hier hinsetzen.«

Unterdessen hatte Martha sämtliche Speisen aufgetischt, wünschte einen guten Appetit, und wenig später ließen es sich alle schmecken.

Nervös versuchte Claire, sich auf ihren Teller zu konzentrieren, dabei beobachtete sie unauffällig Nash, der sich mit Frida und Inger unterhielt. Die beiden flirteten völlig ungeniert mit ihm, und sie beneidete die zwei jungen Frauen um ihr Selbstbewusstsein. Wenn sie nur halb so locker wäre, würden sich ihre Probleme von ganz alleine lösen.

»Du kommst also aus Pittsburgh«, richtete Nash plötzlich das Wort an sie und vor lauter Schreck rutschte ihr prompt das Messer aus der Hand.

Es schlitterte ein Stück über den Tisch und fiel dann herunter, genau auf Nashs Schoß. Instinktiv versuchte sie, es aufzufangen, und boxte ihm dabei direkt in den Schritt. Er zuckte zusammen, Frida und Inger kicherten leise, und Claire wäre am liebsten im Erdboden versunken.

»Entschuldigung«, murmelte sie mit hochrotem Gesicht.

»Kein Problem.«

Mit einem etwas verkrampften Lächeln stand er auf und ging zu einer Anrichte, wo er aus einer Schublade ein neues Messer holte und es ihr reichte.

Sie bedankte sich und beschäftigte sich dann mit gesenktem Kopf wieder mit ihrem Essen. Danach machte Nash keine Anstalten, das Gespräch fortzusetzen, sondern wandte sich erneut den beiden jungen Däninnen zu, und Claire schwankte zwischen Erleichterung und Bedauern.

Appetitlos stocherte sie auf ihrem Teller herum und fragte sich, wie sie Nash jemals näherkommen sollte, wenn sie es nicht einmal schaffte, ohne Zwischenfälle ein Abendessen in seiner Gegenwart zu überstehen.

Nachdem die Mahlzeit beendet war, räumte Martha die Tische ab und die Gäste begaben sich hinüber in den Wohnbereich. Nach kurzem Zögern beschloss Claire, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen. Sie war müde und hatte erst einmal genug, es blieben ihr ja noch acht Wochen, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Zaghaft wünschte sie allen eine gute Nacht, und als sie den Raum verließ, folgte Dillon ihr nach draußen.

»Willst du wirklich schon schlafen gehen?«, fragte er freundlich. »Wir sitzen abends oft ein bisschen zusammen, unterhalten uns, sehen uns einen Film an oder spielen Karten. Wir legen Wert auf eine familiäre Atmosphäre und möchten, dass sich unsere Gäste wie zu Hause fühlen.«

»Morgen Abend gerne, heute bin ich ziemlich erledigt.«

»Natürlich. Aber vielleicht erkläre ich dir gerade noch, wie sich unser Tagesablauf gestaltet.«

Als Claire nickte, trat er an einen kleinen Tisch, der seitlich an der Wand stand, und deutete auf ein paar Zettel, die darauf lagen.

»Hier kannst du dich für die verschiedenen Aktivitäten anmelden. Für Massagen gibt es einen festen Plan, die Termine sind stündlich zwischen zehn Uhr morgens und sechs Uhr abends angesetzt. Die Sauna ist dienstags, donnerstags, freitags und samstags von jeweils drei bis sechs Uhr in Betrieb, am Dienstag nur für Frauen, am Freitag nur für Männer, die beiden anderen Tage gemischt. Es gibt dann natürlich auch Aufgüsse, in der Regel zwei Mal, aber wir sprechen das vorher mit den Saunabesuchern ab. Der Fitnessraum ist durchgehend geöffnet, ebenso wie das Schwimmbecken und der Jacuzzi. Die Benutzung der Einrichtungen erfolgt auf eigene Gefahr, da wir die Räumlichkeiten nicht rund um die Uhr überwachen können.«

Dillon nahm einen bunten Prospekt, drückte ihn Claire in die Hand und fuhr fort: »Hier drin ist unter anderem ein Merkblatt mit Sicherheitshinweisen, das du bitte unterschreibst und bei uns abgibst. Außerdem findest du in der Broschüre genauere Infos zu den Ausflügen, die wir anbieten. Die Liste liegt ebenfalls hier in der Halle aus, trag dich einfach dort ein, wenn du teilnehmen möchtest. Solltest du dir darüber hinaus irgendetwas Spezielles ansehen wollen, dann sag Nash oder mir Bescheid, und wir schauen, ob wir das organisieren können. Frühstück gibt es von sieben bis neun, Abendessen um halb sieben. Mittags essen unsere Gäste meistens außerhalb, auf Wunsch richtet Martha jedoch auch gerne einen kleinen Imbiss her. – So, ich glaube, das war das Wichtigste. Falls du irgendwelche Fragen hast oder etwas benötigst, kannst du uns jederzeit ansprechen. Sofern wir nicht alle gemeinsam unterwegs sind, ist fast immer einer von uns beiden im Büro zu finden, ansonsten ist auch noch unser Faktotum Sam da.«

»Okay«, nickte Claire, obwohl ihr ein wenig der Kopf schwirrte.

»Ich weiß, es ist alles ein bisschen viel auf einmal, aber du wirst sehen, in spätestens zwei Tagen hast du dich eingewöhnt«, versprach Dillon. »Also dann, gute Nacht.«

Claire wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht, stieg die Treppe hinauf und lag kurz darauf auf ihrem Bett.

Kapitel 4

Das Frühstück am nächsten Morgen verlief ohne größere Zwischenfälle. Es gab ein reichhaltiges Buffet, das keinerlei Wünsche offen ließ, und nachdem Claire sich einen Teller gefüllt hatte, beschloss sie, sich sicherheitshalber einen Platz zu suchen, der weit entfernt von Nash lag.

Als Dillon anschließend jedoch seinen Bruder bat, Claire auf der Ranch herumzuführen, damit sie sich mit allem vertraut machen konnte, bekam sie vor lauter Aufregung einen Schluckauf.

»Also, wie du ja schon gesehen hast, befinden sich hier unten der Aufenthaltsraum und unser Büro. Gegenüber ist die Küche, daneben ist der Wirtschaftsraum mit Waschmaschinen, ​​ Wäschetrockner, Bügeleisen und so weiter, die Geräte stehen auch den Gästen zur Verfügung.«

Sie nickte und folgte ihm unkontrolliert hicksend aus dem Haupthaus in einen der Seitenflügel.

»Hier ist der Fitnessraum«, erklärte Nash und betrat eines der Nebengebäude, »er kann ohne Voranmeldung genutzt werden. Falls du Fragen zu einem der Sportgeräte hast oder Hilfe benötigst, kannst du dich an Dillon oder mich wenden, wir geben dir gerne eine kleine Einweisung.«

Interessiert schaute Claire sich in der Halle um. Auf der einen Seite, vor einer breiten Fensterfront, durch die man auf einen gepflegten Tennisplatz mit Aschenboden hinausschauen konnte, befanden sich mehrere Laufbänder, Trimmräder und Crosstrainer. An der anderen Wand reihten sich Rudergeräte, Hantelbänke und diverse Kraftstationen aneinander.

Die meisten dieser Maschinen hatte sie noch nie gesehen, und sie machte sich eine mentale Notiz, dass dies ein guter Vorwand wäre, um ein wenig Zeit mit Nash zu verbringen.

»Der Tennisplatz steht ebenfalls durchgehend zur Verfügung, Schläger und Bälle kannst du dir bei uns ausleihen, und wir geben auch Trainerstunden«, fuhr Nash fort und dirigierte Claire hinaus in den Hof. »Dort hinten«, er deutete auf ein separates Nebengebäude, das etwas abseits lag, »sind unsere Privaträume, Dillon wohnt auf der rechten Seite, ich auf der linken. Falls nachts einmal etwas sein sollte, weißt du, wo du uns finden kannst.«

Er überquerte den Hof und öffnete eine Tür im gegenüberliegenden Seitenflügel.

»Das ist der Spa-Bereich. Hier befinden sich die Sauna, die Massage- und Umkleidekabinen sowie der Ruheraum. Für die Massage musst du dich eintragen und die Sauna hat feste Betriebszeiten, die du dem Prospekt entnehmen kannst.«

Der Ruhebereich war ein offener Raum, dessen Panoramafenster einen atemberaubenden Blick auf die Rocky Mountains boten. Große Pflanzenkübel waren überall verteilt, mehrere bequem aussehende Relaxliegen und kleine Tische mit Zeitschriften darauf luden zum Verweilen ein.

Immer noch leise hicksend folgte Claire Nash durch eine gläserne Tür in die Schwimmhalle.

»Schwimmen kannst du jederzeit«, erläuterte er, während sie am Rand des im Boden eingelassenen Beckens entlanggingen.

Auch hier konnte man durch eine riesige Fensterfront auf die Berge sehen, die übrigen Wände waren naturbelassen, rings um den Pool herum standen weiße Plastikliegen. Das Bassin selbst war etwa zehn mal fünf Meter groß, am flachen Ende führten breite Treppenstufen hinein. Auf der Wasseroberfläche war eine Schnur mit Plastikkugeln gespannt, die den Schwimmer- vom Nichtschwimmerbereich abgrenzte.

»Da drüben ist der Jaccuzzi«, erklärte Nash und blieb so plötzlich stehen, dass Claire, die sich völlig darauf konzentriert hatte, ihren Schluckauf zu unterdrücken, gegen seinen Rücken prallte.

Brennende Röte überzog ihr Gesicht. »Entsch … hicks … entschuldigung.«

»Nichts passiert. – Ich nehme an, mein Bruder hat dir bereits einen Prospekt gegeben?«

Sie nickte. »Ja.«

»Gut, darin steht noch einmal alles ganz genau, und dort findest du ebenfalls Informationen über die Ausflüge, die wir anbieten sowie die Events, die ab und zu in Elkpoint stattfinden. Falls du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an uns wenden, wir sind stets bemüht, unseren Gästen alle Wünsche zu erfüllen.«

Ob das auch meinen speziellen Wunsch beinhaltet?, dachte Claire ironisch, während sie Nash, der sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, folgte.

Mit den Gedanken bei ihrem Plan B achtete sie nicht darauf, wo sie hinlief, und rutschte Sekunden später in einer kleinen Pfütze, die sich auf den Fliesen gebildet hatte, aus. Hilflos ruderte sie mit den Armen in der Luft, bekam Nash zu fassen, der – völlig überrascht von der jähen Attacke – das Gleichgewicht verlor und in den Pool fiel.

Einen Moment lang stand Claire wie angewurzelt da und starrte entsetzt auf Nash, der prustend an die Oberfläche kam. Dann wandte sie sich spontan um, eilte auf einen der Rettungsringe zu, die an der Wand hingen, nahm ihn ab, lief zum Becken zurück und warf ihn schwungvoll in Nashs Richtung. Dieser hatte sich gerade aufgerichtet und rieb sich das Wasser aus den Augen, als der mit Kunststoff ummantelte Ring auf ihn zuflog und ihn an der Stirn traf.

Benommen von der Wucht des Aufpralls sank er nach hinten und Claire, die fürchtete, er würde ertrinken, sah keine andere Lösung, als ihm selbst zur Hilfe zu kommen. Ohne lange zu überlegen, sprang sie in den Pool.

»Keine Angst«, rief sie dabei, »ich bin gleich da.«

»Das ist genau das, was mir Angst macht«, knurrte Nash, der sich wieder berappelt hatte, und wehrte ihre Hände, die nach ihm greifen wollten, ab. »Ich bin okay. Und übrigens kann ein Erwachsener an dieser Stelle im Normalfall nicht ertrinken, das Wasser ist gerade mal fünf Fuß tief.«

»Oh.« Claire hielt inne und stellte fest, dass sie tatsächlich problemlos stehen konnte. »Oh Gott. Ich … es tut mir so leid«, stammelte sie, »das wollte ich nicht, wirklich nicht. Ich bin ausgerutscht und …«

»Schon gut«, unterbrach er sie, »sehen wir zu, dass wir hier raus kommen und uns etwas Trockenes anziehen.«

Mit geschmeidigen Bewegungen schwamm er auf die Treppe zu, zu Tode beschämt paddelte Claire hinter ihm her.

Wenigstens ist der blöde Schluckauf jetzt weg, dachte sie unglücklich, als sie ihm – dieses Mal mit sicherem Abstand – aus der Schwimmhalle folgte. Draußen wandte er sich mit einem knappen Nicken in Richtung des Nebengebäudes, in dem er mit seinem Bruder wohnte, und sie schlich, eine nasse Spur hinter sich herziehend, zum Haupthaus, wo sie prompt auf Dillon traf.

Er betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Regnet es?«

»Äh nein … es gab einen kleinen Zwischenfall am Pool.« Seine Mundwinkel zuckten, und sie schlang verlegen die Arme um sich. »Ich gehe mich dann mal umziehen.«

»In einer halben Stunde fahren Nash und ich mit den Gästen nach Elkpoint hinein – du kommst doch sicher mit?«

Sie zögerte kurz. Es wäre ihrem Vorhaben bestimmt zuträglich, wenn sie an dem Ausflug teilnahm. Aber für heute hatte sie sich wohl bereits genug blamiert, und sie musste ja nichts überstürzen.

»Nein«, erklärte sie daher, »ich ruhe mich lieber ein wenig aus – ein anderes Mal vielleicht.«

Etwa eineinhalb Stunden später saßen Nash und Dillon im Diner in Elkpoint. Während die Urlauber die Stadt erkundeten, hatten sie die Zeit genutzt, um ein paar Dinge einzukaufen, und warteten nun bei einem Steak mit Wedges darauf, dass ihre Schäfchen wieder zurückkehrten.

»Du hast da eine Beule an der Stirn«, stellte Dillon fest und musterte seinen Bruder. »Hast du dich geprügelt?«

Nash verzog das Gesicht. »Die habe ich unserem Gast aus Pittsburgh zu verdanken.«

»Hat sie dich etwa geohrfeigt, als du ihr an die Wäsche wolltest?«

»Natürlich nicht«, knurrte Nash. »Die Verrückte hat mich während unseres Rundgangs erst in den Pool geschubst und mir dann den Rettungsring an den Kopf geworfen.«

»Deshalb war sie so nass«, schlussfolgerte Dillon mit amüsiertem Grinsen.

»Ja, sie ist wohl hinterher gesprungen, um mich vor dem Ertrinken zu retten.« Nash seufzte und schüttelte den Kopf. »Diese Frau ist eine Katastrophe auf zwei Beinen.«

»Ach was, sie macht doch einen sehr netten Eindruck. Vermutlich ist sie einfach nur unsicher und deswegen so tollpatschig.«

»Das mag ja sein, ich für meinen Teil werde mich allerdings lieber von ihr fernhalten.«

Dillon schob sich ein Stück Steak in den Mund. »Und was ist mit Frida und Inger?«, fragte er kauend. »Die beiden sind ganz niedlich.«

»Oh nein«, Nash fuchtelte mit seiner Gabel herum, »vergiss es. Ich weiß, dass du deinen Buick nicht hergeben willst, aber diese Wette werde ich gewinnen, und wenn du mir die Frauen nackt auf den Bauch bindest.«

»Jaja, schon klar. Noch bist du standhaft, es sind ja auch gerade erst vierzehn Tage vergangen. Spätestens Ende nächster Woche wirst du dich sowieso nicht mehr zurückhalten können.«

»Das werden wir ja sehen«, grummelte Nash finster.

Tatsächlich fiel ihm die Enthaltsamkeit jetzt bereits schwer. Er liebte es, mit den Frauen zu flirten, sie zu umgarnen und zu ausgefallenen Liebesspielen zu verführen. Es war vor allem das Jagen und Erobern, das ihm Spaß machte, und er ärgerte sich inzwischen, dass er diese dämliche Wette überhaupt vorgeschlagen hatte. Natürlich hätte er sich trotzdem amüsieren können, ohne dass sein Bruder es mitbekam. Doch er hatte Dillon die Hand darauf gegeben, und mochte er sonst auch einige Fehler haben, sein Wort zu brechen gehörte nicht dazu.

Ich werde es durchhalten, schwor Nash sich, während er eine Gabel voll Wedges in den Mund stopfte, irgendwie kriege ich es hin.