Magnolia Haven Sammelband
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Klappentext
Die siebzehnjährige Joanna ist in einem Bordell aufgewachsen. Als der scheinbar nette Tom Prescott sie als Kindermädchen nach Magnolia Haven mitnimmt, sieht es zunächst so aus, als hätte das Schicksal es gut mit ihr gemeint. Doch Toms Familie begegnet ihr mit Abneigung, allen voran seine Schwägerin Olivia, die keine Gelegenheit auslässt, um Joanna zu schikanieren. Als Toms düster wirkender Bruder Jake beginnt, sich ein wenig um Joanna zu kümmern, ist sie froh, allerdings stürzen Jakes unberechenbare Launen sie sehr schnell in ein Wechselbad der Gefühle. Und dann ist da noch Tom selbst, der einen perfiden Plan verfolgt – was sich jedoch erst herausstellt, als es schon zu spät ist …
Leseprobe
1
Das »Red Lantern« war kein Ort, an dem anständige Frauen sich aufhielten.
Doch die siebzehnjährige Joanna Shepherd lief so selbstverständlich durch das rauchgeschwängerte Hinterzimmer des Bordells, als wäre sie hier aufgewachsen, und das war sie tatsächlich.
Allerdings war sie nicht eine der Prostituierten, ihre Aufgabe beschränkte sich lediglich darauf, bei den illegalen Pokerrunden Häppchen und Getränke zu servieren.
»Hey Süße, bring mir noch einen Whiskey«, orderte einer der Männer am Spieltisch, ein alter, dicker Kerl mit einem grauen Haarkranz um die runzelige Glatze.
Seine Augen glitten lüstern über Joannas Rückseite, als sie davoneilte, um ihm das Gewünschte zu besorgen.
Sekunden später stellte sie den Jack Daniels vor ihn hin, wich geschickt seiner Hand aus, mit der er versuchte, ihren Po zu betatschen, und zog sich wieder auf ihren Platz neben der Tür zurück.
Angespannte Stille lag im Raum, alle konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf die zwei Männer, die sich am Spieltisch gegenübersaßen.
»Big Bill«, der Besitzer des »Red Lantern« zog genüsslich an seiner Zigarre und beobachtete mit kaum verhohlener Freude seinen Kontrahenten, einen etwa dreißigjährigen Mann mit blonden Haaren und blassblauen Augen.
Die beiden waren die Einzigen, die in dieser Runde noch übrig waren. Alle anderen waren bereits ausgestiegen und warteten nun mit angehaltenem Atem darauf, dass die Karten auf den Tisch gelegt wurden.
»Full House«, sagte Bill jetzt triumphierend und blätterte drei Damen und zwei Achten auf die mit grünem Filz überzogene Tischplatte.
Thomas Prescott ließ sich Zeit. Er trank einen Schluck aus seinem Whiskeyglas, schaute dann zu Joanna und zwinkerte ihr freundlich zu. Anschließend drehte er gelassen seine Karten um.
»Straight Flush«, lächelte er und sah zufrieden, wie Bill blass wurde.
Er sah aus, als würde er jeden Moment einen Herzinfarkt bekommen. Seine Gesichtsfarbe wechselte von Weiß zu einem tiefen Rot, er schnappte nach Luft, und die übrigen Teilnehmer der Pokerrunde zogen es vor, sich schnellstens zu verabschieden. Bills Wutausbrüche, wenn er beim Pokern verlor, waren ihnen nur allzu gut bekannt, und es war besser, sich jetzt nicht in seiner Nähe aufzuhalten. Die Summe, um welche die beiden gespielt hatten, war astronomisch hoch, garantiert würde er gleich anfangen, durchzudrehen.
Die Tür schloss sich hinter den Männern, Joanna, Bill und Thomas Prescott waren alleine im Raum. Joanna wartete mit angehaltenem Atem auf Bills Wutanfall, doch seltsamerweise blieb er heute ruhig – sehr ruhig.
»Nun Bill«, der Blonde beugte sich ein Stück nach vorne und lächelte den fettleibigen Bordellbesitzer an, »zusammen mit der Summe vom letzten Mal schuldest du mir jetzt 75.000 Dollar. Zahlst du bar oder willst du mir einen Scheck ausstellen?«
Bill schluckte. »Ich … ich bin im Moment nicht so bei Kasse«, murmelte er unbehaglich. »Ich könnte dir 10.000 geben und den Rest dann nach und nach.«
Toms Lächeln verschwand. »Tut mir leid, aber so lange kann ich nicht warten.«
»Eventuell kann ich noch weitere 20.000 auftreiben«, bot Bill an und nagte nervös an seiner wulstigen Unterlippe.
»Das ist zu wenig.« Tom betrachtete einen Augenblick seine gepflegten Fingernägel. »Ich wäre allerdings bereit, dir ein Angebot zu machen.«
Bill nickte eifrig. »Okay, ich höre.«
»Nun«, Tom warf einen bedeutsamen Blick in Joannas Richtung, »ich denke, das sollten wir unter vier Augen besprechen.«
»Lizzy, du sollst zum Boss kommen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand die junge Frau mit den grellblond gefärbten Haaren wieder, und Elizabeth Shepherd, genannt Lizzy, erhob sich mit einem müden Seufzer vom Bett.
Der letzte Freier war gerade erst gegangen, und sie hätte sich gerne ein wenig frisch gemacht, doch sie wusste, dass es besser war, »Big Bill« nicht warten zu lassen.
Rasch warf sie sich einen Morgenrock über das durchsichtige Negligé, verließ dann das kleine Zimmer und eilte den Gang entlang, der von ein paar Wandlampen in ein schummriges, rotes Licht getaucht wurde.
Sie stieg die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, durchquerte den Flur, der sich von dem im Obergeschoss kaum unterschied. Stimmengewirr und Gelächter aus der Bar begleiteten sie auf ihrem Weg zu Bills Büro. Sie wusste, dass sie sich dort drinnen wenig später auch wieder um Kunden bemühen musste, sie hatte ihr Soll für den heutigen Abend noch nicht erfüllt.
Doch zunächst musste sie das Gespräch mit Bill hinter sich bringen. Hoffentlich war er mit dem Wochenendgeschäft zufrieden, dann würde er vielleicht etwas gnädiger gestimmt sein als sonst.
Zögernd klopfte sie an die Tür am Ende des Ganges, und als ein unwirsches »Ja« ertönte, trat sie ein.
William Striker, von den Mädchen und in einschlägigen Kreisen »Big Bill« genannt, thronte hinter seinem Schreibtisch. Er hatte eine Zigarette im Mundwinkel hängen und blätterte in irgendwelchen Papieren herum. Seine massige Gestalt füllte den Bürostuhl, auf dem er saß, völlig aus, er wirkte, als hätte man ihn mit Gewalt dort hineingepresst.
In einem Sessel auf der anderen Seite des Zimmers saß ein junger, blonder Mann. Er musterte Elisabeth, sagte jedoch nichts.
»Lizzy«, begrüßte Bill sie jovial, »komm her, setz dich.«
Langsam kam sie näher, ließ sich auf dem Stuhl vor dem Tisch nieder und schaute ihn abwartend an.
»Ich möchte mit dir über Joanna reden«, begann er ohne Umschweife. »In ein paar Monaten wird sie achtzehn, und du weißt, dass ich sie nicht ewig durchfüttern kann. Sie hat die Schule beendet, und es wird Zeit, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdient. Mr. Prescott hier«, er deutete auf den Blonden, »ist bereit, ihr einen Job zu geben.«
»Einen Job?«, fragte sie ahnungsvoll. »Du meinst …«
Sie führte den Satz nicht zu Ende, aber es war auch so klar, woran sie dachte.
Bevor Bill antworten konnte, hatte Tom Prescott sich erhoben und kam mit einem beruhigenden Lächeln auf Elisabeth zu.
»Nein, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, es ist eine anständige Arbeit. Ich suche ein Kindermädchen für meinen Neffen, und ich denke, Ihre Tochter wäre ganz gut dafür geeignet. Es ist eine Chance für Joanna, hier herauszukommen und ich versichere Ihnen, dass es ihr bei uns an nichts fehlen wird.«
Schweigend musterte Elisabeth ihn. Er machte einen seriösen Eindruck, seine Kleidung sah teuer aus und er wirkte sehr gepflegt. Trotzdem war ihr nicht recht wohl bei dieser Sache. Warum bot ein Mann wie er Joanna einen Job an? Es gab schließlich genug Möglichkeiten, eine Betreuerin für seinen Neffen zu finden, dazu muste er nicht ein unbekanntes Mädchen aus einem Bordell holen.
»Du solltest nicht zu lange überlegen Lizzy«, gab Bill jetzt zu bedenken. »So ein Angebot wird sie bestimmt nicht wieder bekommen.« Als Elisabeth immer noch zögerte, fügte er hinzu: »Wenn es dir nicht recht ist, kann Joanna natürlich auch für mich arbeiten, sobald sie volljährig ist.«
Elisabeth zuckte zusammen. Ihr war klar, von welcher Art Tätigkeit Bill sprach, und sie würde alles dafür tun, um das zu verhindern. Obwohl sie nicht begeistert davon war, Joanna mit einem völlig fremden Mann mitgehen zu lassen, erschien ihr das dennoch die bessere Alternative zu sein.
»In Ordnung«, nickte sie daher resigniert, »sieht ja wohl nicht so aus, als hätte ich eine große Wahl.«
Ein zufriedenes Lächeln glitt über Bills feistes Gesicht.
»Ich wusste doch, dass du vernünftig sein würdest. Es ist wirklich in Joannas Interesse, glaub mir.«
»Ihrer Tochter wird nichts geschehen, das verspreche ich Ihnen«, bekräftigte Tom Prescott jetzt auch noch einmal. »Sie hat freie Kost und Logis und bekommt alles, was sie benötigt. Darüber hinaus werde ich jeden Monat eine feste Summe auf ein Sparkonto einzahlen, so hat sie ein kleines Startgeld für die Zukunft, wenn wir ihre Dienste nicht mehr benötigen.«
Elisabeth nickte schweigend, und Bill schob ihr ein paar Papiere über den Schreibtisch.
»Gut, dann unterschreib bitte den Arbeitsvertrag, und eine Vollmacht für Mr. Prescott.«
»Eine Vollmacht?« Sie runzelte die Stirn.
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte Tom Prescott ruhig. »Sie erklären damit Ihr Einverständnis, dass ich Joanna mitnehmen darf, und vorübergehend von Ihnen als Aufsichtsperson eingesetzt bin. Außerdem bin ich dadurch auch berechtigt, im Notfall medizinische Entscheidungen zu treffen.«
Nachdem sie die Papiere kurz überflogen und für in Ordnung befunden hatte, setzte Elisabeth ihre Unterschrift darunter. Bill überreichte Tom jeweils ein Exemplar, die Kopien verstaute er in seinem Schreibtisch.
»Okay, dann geh jetzt Joanna holen«, forderte er Elisabeth auf. »Du hast eine halbe Stunde Zeit, um ihr alles zu erklären, ihre Sachen zu packen und dich zu verabschieden.«
»Wohin fahren wir?«, wollte Joanna wissen, nachdem sie festgestellt hatte, dass der blonde Mann namens Tom seine Limousine aus New Orleans heraus in Richtung Norden steuerte.
»Zu unserem Anwesen«, sagte er und mit einem raschen Seitenblick auf ihr angespanntes Gesicht grinste er belustigt. »Du wirst doch nicht etwa gedacht haben, dass ich dich verschleppen will?«
Sie gab keine Antwort und zuckte nur mit den Achseln. Obwohl ihre Mutter ihr alles erklärt hatte, und Tom Prescott einen netten Eindruck machte, war ihr die ganze Sache nicht geheuer, und sie beschloss, sich lieber zurückzuhalten.
»Keine Angst«, fuhr er amüsiert fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Niemand wird dir irgendetwas tun.«
Sie wagte nicht, ihm noch weitere Fragen zu stellen, also drückte sie sich schweigend in die Ecke des Beifahrersitzes. Angestrengt schaute sie aus dem Fenster in die Dunkelheit und fragte sich, wohin er sie wohl bringen würde. Trotz ihrer Befürchtungen ließ das gleichmäßige Geräusch des Motors sie irgendwann einnicken. Als sie wieder zu sich kam, war es bereits hell. Einem Schild zufolge befanden sie sich ein paar Meilen vor Memphis, sie waren also in Tennessee.
Bei Millington verließ Tom den State Highway und folgte einer Landstraße. Nachdem sie einen kleinen Ort namens Hickory Hollow durchquert hatten, fuhren sie eine Weile über schmale Straßen, die zwischen Wäldern hindurchführten. Kurz darauf bog er in eine breite Allee ab, an deren Ende die weißen Mauern eines Herrenhauses zu erkennen waren. Hohe Eichen mit ineinander verschlungenen Baumkronen säumten den Weg. Die Äste waren über und über mit Spanischem Moos behangen, was ihnen ein unheimliches Aussehen verlieh.
Ehe sie das Haus erreichten, hielt er plötzlich an.
»Wir sind gleich da«, erklärte er, »und bevor ich dich meiner Familie vorstelle, werde ich dir noch ein paar Verhaltensregeln geben. – Du wirst mit keiner Silbe erwähnen, woher du kommst, zu niemandem«, schärfte er ihr ein. »Sie würden nicht begeistert sein, wenn sie hören, dass ich dich aus einem Bordell geholt habe. Du bist eine weitläufige Verwandte eines guten Freundes von mir, und deine Mutter ist vor kurzem verstorben, daher bist du auf diese Stelle angewiesen. Am besten hältst du ganz den Mund über alles, was deine Vergangenheit anbelangt, das ist auch in deinem eigenen Interesse.«
Joanna nickte stumm, und er fügte beruhigend hinzu: »Keine Angst, niemand wird dir den Kopf abreißen. Halte dich einfach an meine Anweisungen, und alles ist in Ordnung.«
»Und was genau soll ich tun?«, fragte Joanna unsicher.
Er lächelte. »Du brauchst dich zunächst nur um meinen Neffen zu kümmern, alles Weitere wird sich finden.«
…


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