Kein Cowboy für einen Sommer
Ebook & Taschenbuch
Inhalt
Nach einer schmerzhaften Enttäuschung und einer geplatzten Urlaubsreise beschließt Leah Miller, den Sommer bei ihrer Tante in Elkpoint verbringen. Doch eine unerwartete Wendung führt sie stattdessen auf eine Wellness-Ranch, wo sie auf den Cowboy Nash Belmont trifft.
Nash ist genau der Typ Mann, vor dem ihre Mutter sie immer gewarnt hat: verboten attraktiv, unverschämt charmant und vor allem ein stadtbekannter Herzensbrecher.
Leah ist fest entschlossen, sich nicht mit ihm einzulassen – doch zwischen aufregenden Bergwanderungen, romantischen Sommerabenden und einem Knistern, das sie nicht ignorieren kann, läuft plötzlich alles aus dem Ruder …
Themen: Liebesroman, Cowboy-Romance, Ranch-Romance, Small Town Romance, He falls first, Bad Boy – Good Girl, Forced Proximity, Slow Burn, Soulmates, Holiday Romance, Reformed Rake
Leseprobe
Kapitel 1
Puh, was für eine Odyssee. Leah Miller angelte ein Papiertaschentuch aus ihrem Rucksack, fuhr damit über ihren Nacken und den Ausschnitt ihres T-Shirts, und pustete sich die Ponyfransen aus der Stirn.
Sie war seit zwei Uhr nachts auf den Beinen. Um fünf Uhr war sie in Chicago losgeflogen, und nach einem einstündigen Zwischenstopp in Denver schließlich gegen halb zehn in Idaho Falls gelandet. Glücklicherweise hatte die Abfertigung nicht lange gedauert, sodass sie den Postbus in Richtung Challis gerade noch so erwischt hatte – wobei sie sich jetzt nicht mehr so sicher war, ob sie darüber wirklich froh sein sollte.
Die stickige Atmosphäre in dem gelben Relikt, das früher einmal zum Transport von Schulkindern gedient hatte, erinnerte mehr an eine Sauna als an ein öffentliches Transportmittel. Es war Anfang Juni, draußen herrschten sechsundzwanzig Grad, doch hier drin schien die Temperatur doppelt so hoch zu sein. Ein Mix aus Schweiß, Knoblauch, aufdringlichem Parfüm und dem unverkennbaren Geruch von Tierdung hing in der Luft.
Erneut stieß sie den Atem aus, was ihre Sitznachbarin, eine rundliche, stark transpirierende Frau, zu einem Lächeln veranlasste.
»Heiß heute, nicht wahr?«, stellte sie fest.
Leah nickte höflich. »Ja, sehr heiß.«
Sie schloss die Augen und dachte daran, dass sie jetzt eigentlich an einem weißen Sandstrand liegen und sich in der Brandung des Ozeans abkühlen sollte. Eigentlich …
Der Bus verließ den Highway und rumpelte durch ein Schlagloch. Der Knall schreckte nicht nur Leah, sondern auch die Hühner auf, die ein Mann auf der anderen Seite des Gangs in einem Käfig neben sich auf dem Sitz stehen hatte. Aufgeregtes Gegacker erfüllte den Innenraum des Fahrzeugs, untermalt von dem halblauten Gezänk eines älteren Ehepaars in einer der hinteren Reihen.
»Erinnerst du dich etwa nicht an unseren Hochzeitstag?«, zischte die Frau, ihre Stimme scharf wie eine Rasierklinge.
»Natürlich, Liebling«, erwiderte ihr Mann sarkastisch, »es war der Tag, an dem mein Leben endete.«
Wenig später erreichte der Bus einen winzigen Ort und hielt vor einem Postamt. Der Fahrer, ein etwa fünfzigjähriger Mann mit dem stoischen Ausdruck ewiger Resignation, öffnete die Türen und zwei Leute stiegen aus. Dann erhob er sich von seinem Sitz und stapfte den Mittelgang entlang zum Heck des Fahrzeugs, wo diverse Postsäcke lagerten. Nachdem er den hinteren Einstieg geöffnet hatte, nahm er einen davon, warf ihn hinaus und zog die Tür mit einem lauten Scheppern wieder zu, woraufhin die Hühner sofort aufs Neue mit ihrem Konzert begannen.
»Wohin wollen Sie denn?«, fragte Leahs Sitznachbarin, nachdem der Bus auf den Highway zurückgekehrt war.
»Nach Elkpoint.«
»Ah, Elkpoint. Dort wohnt eine Bekannte von mir. Ein hübscher Ort, aber natürlich nicht mit Challis zu vergleichen. Immerhin ist Challis der Verwaltungssitz des Custer County, mit einer reichen Geschichte und knapp tausend Einwohnern.« Die Dame kramte in ihrer voluminösen Tasche und zog eine kleine Broschüre heraus, die sie Leah anbot. »Hier, falls Sie den Ort mal erkunden möchten. Besonders das alte Postamt ist sehenswert, es wurde zu einem Museum umgebaut, in dem man viel über die Geschichte der Gegend erfährt. Und Sie müssen unbedingt die kleine Bäckerei an der Main Street besuchen, die von den beiden Miller-Schwestern geführt wird. Es geht das Gerücht, dass sie ein geheimes Rezept für das beste Roggenbrot in ganz Idaho haben, auch wenn sie das stets vehement abstreiten. Überhaupt ist immer etwas los bei uns in Challis. Da ist zum Beispiel der alte Mr. Timmons, der neulich behauptete, er hätte in seinem Garten einen Berglöwen gesehen. Die ganze Stadt war in Aufruhr, bis sich herausstellte, dass es nur der große, streunende Kater von Mrs. Pittman war. Sie hätten das Theater sehen sollen! Oh, und bevor ich es vergesse …«
Ohne Punkt und Komma fuhr die Frau fort, von Challis und seinen Einwohnern zu berichten. Von heimlichen Affären über missglückte Geschäftsvorhaben bis hin zu den kleinen Triumphen und Tragödien des täglichen Lebens – die Dame schien ein lebendes Archiv der Stadtgeschichte zu sein.
»… und dann hat Henny zu ihm gesagt, er solle sich vom Acker machen, können Sie sich das vorstellen?«, fuhr sie fort. »Natürlich gab es einen riesigen Skandal, aber …«
Leah stellte ihre Ohren auf Durchzug, nickte immer mal wieder und streute gelegentlich einen knappen Kommentar ein.
Schließlich bog der Bus ein weiteres Mal vom Highway ab, woraufhin ihre Sitznachbarin ihren endlosen Redefluss unterbrach und erklärte: »Wir sind gleich in Elkpoint.«
Wenig später rollten sie in den kleinen Ort hinein und die Hauptstraße hinauf.
Leah spähte aus dem Fenster. Ihr letzter Besuch war etliche Jahre her, doch soweit sie sich erinnern konnte, hatte sich nichts verändert.
Die farbenfrohen Fassaden der zweistöckigen Gebäude an der Mainstreet verliehen dem Ort einen charmanten, fast nostalgischen Charakter. Vor einem Friseursalon drehte sich eine rot-weiß-blaue Barberpole träge in der warmen Sommerluft, gegenüber schleppte eine Frau einen großen Korb in einen Waschsalon. In der Ortsmitte gab es einen Store, der alles Nötige für den täglichen Bedarf anbot, direkt daneben befanden sich die Post sowie eine Apotheke. Auf der gegenüberliegenden Seite lag ein kleines Kino, dessen Leuchtreklame einen älteren Film ankündigte.
Es folgten weitere Geschäfte, ein Coffeeshop, eine Bar namens Naughty Moose, eine Filiale der Farmers National Bank und ein Diner, aus dem verführerische Düfte durch die offenen Kippfenster hereinwehten. Sie fuhren am Rathaus, an der Polizeiwache und der Feuerwehr vorbei, dann bog der Bus in eine Haltebucht ein und Leah fragte sich unwillkürlich, ob der Fahrer sie jetzt ebenfalls wie einen Postsack ausladen würde.
Sie stand auf, hob ihren kleinen Koffer aus dem Gepäcknetz, schnappte ihren Rucksack, verabschiedete sich von der älteren Dame und stieg mit einem »Bye« in Richtung des Busfahrers aus.
Hinter ihr schlossen sich die Türen mit einem lauten Zischen, dann rumpelte das Gefährt davon.
Leah streckte sich, atmete tief durch und ein angenehmer Duft nach Kiefernnadeln stieg ihr in die Nase, vermischt mit einem Hauch von frisch gemähtem Gras. Die Wärme der Sommersonne auf ihrer Haut und die leichte Brise, die sie umwehte, ließen sie ein Gefühl der Vorfreude verspüren.
Nachdem sie sich kurz orientiert und den nahe gelegenen weißen Kirchturm ausgemacht hatte, schulterte sie ihren Rucksack, griff nach ihrem Koffer und machte sich auf den Weg zum Pfarrhaus.
***
Leise summend betrat Nash Belmont das Büro im Erdgeschoss der Ranch und bekam gerade noch die letzten Worte seines Bruders Dillon mit, der an einem der beiden Schreibtische saß und telefonierte.
»In Ordnung, Mom, ich schaue nach, welche Flüge in den nächsten Tagen gehen und sage dir dann noch einmal Bescheid, wann wir ankommen.« – »Ja, natürlich bringen wir Leon mit.« – »Alles klar, mach es gut, ich melde mich.«
Dillon beendete das Gespräch und wandte sich Nash zu. »Ich soll dir schöne Grüße von Mom ausrichten.«
»Danke.« Nash ließ sich auf den Stuhl des gegenüberliegenden Schreibtischs fallen. »Habe ich das richtig verstanden? Ihr wollt Mom und Dad besuchen?«
»Ja.«
Mit einem leisen Schnauben griff Nash nach einem Kugelschreiber und drehte ihn zwischen den Fingern hin und her. »Und das muss ausgerechnet jetzt sein? Hier ist Hochsaison und du lässt mich mit der ganzen Arbeit sitzen und machst dir einen schönen Lenz in Florida?«
Achselzuckend steckte Dillon sein Smartphone zurück in die Hemdtasche. »Du weißt doch, wie Mom ist. Am liebsten hätte sie ständig einen von uns beiden bei sich, und sie hat so lange gebohrt, bis ich ihr versprochen habe, dass Claire und ich kommen.«
»Du hättest auch mich fragen können. Ich habe die beiden über ein Jahr nicht mehr gesehen.«
»Was vielleicht anders wäre, wenn du nicht ständig deine Weibergeschichten im Kopf hättest«, gab Dillon mit leichtem Spott in der Stimme zurück.
Ehe Nash etwas antworten konnte, klingelte das Festnetztelefon auf dem Schreibtisch und Dillon nahm den Hörer ab.
»Belmont-Ranch, Dillon Belmont am Apparat«, meldete er sich. »Was kann ich für Sie tun?«
Er lauschte einen Augenblick. »Sie möchten Nash sprechen?«, wiederholte er dann. »Verraten Sie mir Ihren Namen?« Wieder eine kurze Pause. »Nina. In Ordnung, einen kleinen Moment, ich sehe nach, ob er da ist.«
Nash, der zugehört hatte, wedelte abwehrend mit den Armen und Dillon verdrehte die Augen.
»Tut mir leid, Gina, aber …« Er unterbrach sich und fuhr dann fort: »Nina, okay. – Also, Nina, es tut mir sehr leid, aber er ist gerade im Massageraum. Ich werde ihm ausrichten, dass Sie angerufen haben. Auf Wiedersehen.« Mit einem vorwurfsvollen Schnauben legte er den Hörer wieder auf. »Na bitte, was habe ich gesagt? Es ist jedes Mal das Gleiche.«
»Ich bin ein Mann und habe Bedürfnisse«, gab Nash übellaunig zurück.
»Du bist jetzt fünfunddreißig, allmählich sollten sich deine Hormone mal auf einem normalen Level eingependelt haben.«
»Jaja«, brummte Nash, »du hast gut Reden. Du bist verheiratet und musst dir keine Gedanken darüber machen, wie du deine überschüssige Energie abbaust.« Er warf den Kugelschreiber auf den Tisch. »Ich bin nur froh, dass du und Claire nicht mehr Wand an Wand mit mir wohnen, damit ich euer wildes Treiben nicht dauernd mit anhören muss.«
Mit einem amüsierten Grinsen hob Dillon die Augenbrauen. »Du wirst doch nicht etwa neidisch sein?«
Nash gab ein Knurren von sich. »Blödsinn.«
»Vielleicht solltest du auch mal über eine ernsthafte Beziehung nachdenken.«
»Ganz sicher nicht«, wehrte Nash ab, »ich genieße mein Junggesellenleben, und dabei wird es auch bleiben.«
Einen Moment lang sah Dillon ihn prüfend an, dann zuckte er mit den Achseln. »Wie du meinst. Aber heul mir bloß nicht die Ohren voll, wenn du irgendwann alt und klapprig allein in deiner Bude sitzt, und alle dich nur noch ›grumpy old man‹ nennen.«
»Jaja«, Nash wedelte mit der Hand, als wolle er eine Fliege verscheuchen, »netter Versuch, vom eigentlichen Thema abzulenken. Es ist wohl eher so, dass ich jetzt allein hier auf der Ranch sitze und zusehen kann, wie ich den Laden am Laufen halte, während du dich mit Claire in Florida in der Sonne aalst und die Eier in den Pool hängst.«
Dillon schüttelte den Kopf. »Meine Güte, jetzt stell dich nicht so an. Du bist hier nicht alleine. Sam, Anne, Martha und Minttu sind schließlich auch noch da.«
»Ja, aber die Verantwortung habe ich. Hast du vergessen, dass die Global Retreats Association eine anonyme Prüfung angekündigt hat?«
»Wir werden ja nicht ewig weg sein, und wer weiß, wann der Tester auftaucht. Außerdem ist das kein Grund, sich verrückt zu machen, schließlich läuft hier alles prima.«
»Deine Ruhe möchte ich haben«, erwiderte Nash trocken. »Du weißt genau, dass unsere Reputation von dieser Überprüfung abhängt, und dass diese Leute solange suchen, bis sie ein Haar in der Suppe gefunden haben. Und was ist mit den Büroarbeiten? Ich kann nicht auf zehn Hochzeiten gleichzeitig tanzen.«
»Das wird sich alles finden«, beschwichtigte Dillon ihn.
»Ja, auf meine Kosten.« Nash warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich werde kaum Freizeit haben, wenn du weg bist, und ich muss noch meine Seifenkiste für das Rennen am vierten Juli fertigmachen. Außerdem wollten die Jungs jetzt bald mit dem Pokerabend durchstarten – das kann ich dann wohl in den nächsten Wochen auch knicken.«
Dillon verdrehte die Augen. »Mimimimimi«, sagte er spöttisch. »Mann, du hörst dich an, wie ein verzogenes Kleinkind. Aber gut, wie du willst, wir bleiben hier.« Er griff nach dem Festnetztelefon und schob es über den Tisch zu Nash. »Und du kannst Mom anrufen und ihr erklären, weshalb wir nicht kommen, und dass sie ihr Enkelkind, auf das sie sich riesig freut, jetzt doch nicht sehen wird. Viel Spaß dabei.«
Mit finsterer Miene starrte Nash ihn an. »Das ist Erpressung. Und es ist nicht fair, dass du Leon als Mittel zum Zweck benutzt.«
Ungerührt erwiderte Dillon seinen Blick. »Tja, wie schon gesagt – vielleicht solltest du auch langsam mal darüber nachdenken, selbst eine Familie zu gründen.«
***
»Was machst du denn hier?«
Als Leah das entgeisterte Gesicht ihrer Tante sah, beschlich sie das dumpfe Gefühl, dass es vielleicht doch keine gute Idee gewesen war, unangemeldet hierher zu fahren.
»Äh …«
»Komm erst mal rein.« Energisch zog Matilda Warden ihre Nichte in den Flur des kleinen Pfarrhauses und dirigierte sie dann in Richtung des Wohnzimmers, das der Reverend als Empfangsraum für seine Gäste nutzte. »Setz dich«, befahl sie, »ich hole dir erst einmal etwas zu trinken.«
Während ihre Tante davoneilte, ließ Leah sich auf das grüne Plüschsofa sinken und sah sich um.
Das Zimmer strahlte eine Mischung aus altmodischem Charme und Autorität aus. Die Wände, in warmem Goldton gestrichen, zierten Bilder von biblischen Szenen und Gemeindeleben. Ein massives, dunkles Bücherregal beherbergte religiöse Werke und eine große Bibel. Der imposante Kamin aus handgeschnittenem Stein nahm einen Großteil des Raumes ein, auf dem Kaminsims standen silberne Kerzenständer und eine antike Tischuhr. Es roch nach poliertem Holz, alten Büchern und Lavendel, das Potpourri auf dem Couchtisch ergänzte diesen Duft. Daneben lagen das Gemeindeblatt und Flyer für die Sommeraktivitäten der Kirche.
Die schweren, dunkelroten Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen, um die Hitze abzuhalten, wodurch das Zimmer in einem gedämpften Halbdunkel lag. Durch einen schmalen Spalt drang ein Sonnenstrahl herein, in dessen Licht unzählige winzige Staubkörnchen tanzten. Ein alter Standventilator in der Ecke brummte leise und bewegte die stickige Luft kaum merklich.
Leah konnte die Fußschritte ihrer Tante hören, die in der Küche etwas zubereitete, begleitet vom Klirren von Geschirr. Wenig später kam sie mit einem Tablett herein, auf dem sich ein Glas Limonade und ein Teller mit selbst gebackenen Keksen befanden, und stellte es auf den Tisch.
Dankbar griff Leah nach dem kühlen Getränk und leerte es in einem Zug. »Oh Gott«, seufzte sie danach, »das tat jetzt gut nach der stundenlangen Fahrt in dem stickigen Bus.«
Matilda ließ sich auf dem Lehnsessel, dessen Arm- und Rückenlehnen wie die des Sofas mit gehäkelten Zierdeckchen geschmückt waren, nieder und sah sie vorwurfsvoll an. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt, dass du kommst? Ich hätte jemanden geschickt, der dich vom Flughafen abholt. Deine Mutter hätte mich anrufen sollen.«
Ihre Mutter. Leah schluckte. Die wusste noch gar nichts von der spontanen Planänderung.
»Mom ist in Europa«, erwiderte sie wahrheitsgemäß. »Irgendein größeres Projekt in Deutschland. Und da dachte ich, ich könnte meine Semesterferien hier bei dir verbringen.«
»Die ganzen Ferien? Aber ich gehe Anfang August auf eine Wallfahrt nach Europa – ich will den Jakobsweg wandern.«
»So lange wollte ich ja auch gar nicht bleiben. Und wenn es dir ungelegen kommt, fahre ich wieder.«
Mit einem leisen Seufzen schüttelte Matilda den Kopf. »Nein, es ist ja noch etwas Zeit bis dahin. Aber ich muss zusehen, was ich mit dir mache. Hier im Pfarrhaus kannst du nicht bleiben, es ist viel zu wenig Platz. Das Inn ist ausgebucht und die anderen Unterkünfte vermutlich auch. Die Sommersaison hat bereits begonnen, und die Leute reservieren ja meistens schon etliche Monate im Voraus.«
Leah runzelte die Stirn. »Aber es gibt doch ein Gästezimmer. Mom und ich haben früher doch auch immer hier geschlafen, wenn wir dich besucht haben.«
»Das hat der neue Pfarrer in eine Bibliothek verwandelt. Er hat Dutzende Kisten mit Büchern mitgebracht – ich habe keine Ahnung, wie ein einzelner Mensch so viel lesen kann.« Matilda seufzte erneut. »Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich sicher etwas organisieren können, aber so …«
»Tut mir leid.« Verlegen rieb Leah mit den Händen über ihre Beine. »Es war eine spontane Entscheidung, aber ich will dir natürlich keine Umstände machen. Ich fahre wieder nach Hause.«
Matilda hob die Hände. »Um Himmels willen, nein. Natürlich kannst du bleiben. Wir werden irgendetwas arrangieren. Heute ist Frauenabend, bestimmt findet sich dort eine Lösung. Vielleicht hat irgendjemand ja doch ein Zimmer frei, und falls nicht, leihen wir von Dotty – das ist die Besitzerin des Old Inn unten an der Hauptstraße – ein Klappbett aus und stellen es in mein Schlafzimmer.«
»Okay«, erwiderte Leah, obwohl ihr die Vorstellung, sich längere Zeit das Zimmer mit ihrer Tante zu teilen, nicht sonderlich gefiel. Vermutlich war es doch das Beste, wenn sie einfach wieder abreiste. Sie würde eine Nacht bleiben und morgen mit dem nächstbesten Flieger nach Chicago zurückkehren.
Kapitel 2
Wenig später saß Leah zusammen mit ihrer Tante und dem Pfarrer am Tisch in der Küche beim Mittagessen. Reverend Dalton, ein streng wirkender Mann um die Fünfzig, legte zu ihrer Erleichterung außer einer kurzen Begrüßung keinen Wert auf weitere Konversation, und so verlief die Mahlzeit nahezu schweigend.
Nachdem sie ihrer Tante beim Abwasch geholfen hatte, musste diese sich um einige Angelegenheiten des Reverends kümmern, und so hatte Leah den ganzen Nachmittag für sich. Sie saß im Wohnzimmer, chattete kurz über WhatsApp mit ein paar Kommilitoninnen, dann schaltete sie ihren E-Reader ein und vertiefte sich in den Liebesroman, den sie während des Fluges begonnen hatte. Gegen Abend machte sie sich ein wenig frisch, zog sich eine saubere Bluse an, und kurz darauf war sie mit ihrer Tante unterwegs zum Frauenabend.
Das Gemeindehaus, wo das Treffen stattfand, lag nicht weit entfernt, sodass sie zu Fuß gehen konnten. Sie spazierten gemächlich an der Kirche vorbei zur Hauptstraße, und von dort waren es nur wenige Schritte bis zum Rathaus, an das sich der Gemeindesaal anschloss.
Als sie den Raum betraten, hatten sich bereits einige Frauen verschiedener Altersstufen um einen langen Tisch gruppiert. Matilda grüßte in die Runde und stellte Leah vor.
»Das hier«, sie deutete auf eine Frau mit rundlichen Apfelbäckchen, »ist Ada Salinger, ihrem Mann Harold gehört der Store. Vielleicht kannst du dich ja noch an sie erinnern, sie hat dir früher immer einen Lolly gegeben, wenn wir einkaufen waren..«
Leah nickte, und ihre Tante fuhr fort: »Das dort ist Nancy Beacham, die Gattin unseres Bürgermeisters. Die beiden Damen neben ihr sind unsere Apothekerin Constance Roper und Ruth Lawson, ihr Mann war früher unser Dorfarzt, aber er hat sich vor einer Weile zur Ruhe gesetzt.«
Nacheinander machte Matilda sie mit allen bekannt, bis ihr von den vielen Namen und Gesichtern der Kopf schwirrte. Als die Vorstellung schließlich beendet war, ließ Matilda sich am Tisch nieder und als Leah sich auf den freien Stuhl neben ihr setzen wollte, winkte eine der jüngeren Frauen am anderen Tischende ihr zu.
»Komm doch hier rüber zu uns.«
Leah folgte ihrer Aufforderung, und nachdem alle zusammengerückt waren und ihr einen Platz frei gemacht hatten, stellte eine andere Frau augenzwinkernd ein Schnapsglas mit einer dunkelroten Flüssigkeit vor sie hin.
»Zum Aufwärmen – mein selbstgemachter Holunderblütenlikör.« Sie lachte fröhlich. »Da du dir garantiert nicht alle Namen merken konntest, stelle ich dir unseren kleinen Kreis hier nochmal vor. Ich bin Maggie, das hier neben mir sind Kate und ihre Schwester Lynn, daneben sitzen Michelle, Cathy und Gloria, und dort auf der anderen Seite Violet, Claire, Stormy, Janey, Wanda und Sally.«
Leah winkte mit der Hand in die Runde und Sally schob eine Frischhaltedose mit kleinen, rose-farbenen Gebäckstücken hin. »Mini-Erdbeerbaisers – greif zu.«
»Schie schind fantaschtisch«, nuschelte Violet mit vollem Mund, und Kate ergänzte: »Sally ist die beste Bäckerin weit und breit. Falls du irgendwann ins Diner gehen solltest, musst du unbedingt ihren Apfelkuchen probieren, er ist legendär.«
»Das werde ich mir merken«, erwiderte Leah, während sie sich eines der Baisers aus der Dose angelte.
»Möchtest du auch etwas stricken?«, fragte Janey und hielt ihren Wollkorb hoch. »Ich könnte dir Wolle und Nadeln leihen.«
Leah schüttelte den Kopf. »Danke für das Angebot, aber was Handarbeiten anbelangt habe ich zwei linke Hände.«
»Na, falls du länger hierbleibst, bringen wir dir das schon bei«, feixte Lynn.
Unterdessen war bei den älteren Damen am anderen Ende des Tisches eine muntere Unterhaltung im Gange, die sich offenbar um den neuesten Klatsch drehte.
»Hast du schon das Neuste gehört?«, fragte Ruth Lawson an Matilda gewandt. »Wayne Bynum hat bei Linda Blumen für Mrs. Asher gekauft.«
Matilda seufzte. »Nein, ich kriege ja kaum noch etwas mit.«
»Weil du ja auch kaum noch in den Store kommst«, warf Ada Salinger ein und klang dabei ein wenig pikiert.
»Der neue Pfarrer hat hohe Ansprüche und kehrt im Pfarrhaus das Unterste nach oben«, rechtfertigte Matilda sich. »Ich habe so viel zu tun, dass ich gar nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht, geschweige denn, Zeit für tägliche Einkäufe zu finden.«
Constance Roper hob die Brauen. »Aber ihr müsst doch wohl etwas essen.«
»Sicher. Allerdings zieht Reverend Dalton es vor, einmal in der Woche nach Idaho Falls zu fahren und Großeinkauf zu machen«, klagte Matilda. »Er meint, das Angebot in der Mall wäre größer, und ich muss ihm dann jedes Mal einen ellenlangen Einkaufszettel schreiben. Außerdem verbindet er den Einkauf immer mit einem Besuch in der Bibliothek – dieser Mann hat einen wirklichen Bücherfimmel.«
»Na ja, jedenfalls hat Wayne offenbar sowohl mit Linda als auch mit Mrs. Asher ein Verhältnis«, kam Ruth wieder auf ihr Thema zurück, »und dann kauft er bei der einen Blumen für die andere ein.«
»Vielleicht treiben sie es ja sogar zu dritt«, warf Lynn mit einem frechen Grinsen ein.
Schockiert schüttelte Matilda den Kopf. »Also bitte, so etwas Widerwärtiges will ich mir gar nicht vorstellen.«
»So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht«, murmelte Gloria, woraufhin Sally ihr einen süffisanten Blick zuwarf. »Du sprichst sicher aus Erfahrung.«
Gloria verdrehte die Augen. »Tja, stell dir vor, es gibt Menschen, die im Schlafzimmer mehr draufhaben als nur die Missionarsstellung im Dunkeln.«
»Dabei wäre es für dich doch eher vorteilhaft, das Licht auszulassen«, konterte Sally, was allgemeines Gelächter hervorrief.
Erstaunt verfolgte Leah den Wortwechsel der beiden Frauen, als ihre Tante sich plötzlich einmischte.
»Apropos Schlafzimmer – Leah bräuchte da auch noch Hilfe.«
Einen Moment lang war es still, dann johlten alle wieder los.
Mit hochrotem Kopf hob Matilda die Hände, um sich über das Gelächter hinweg Gehör zu verschaffen. »So habe ich das doch gar nicht gemeint.«
»Wie wäre es mit Nachhilfe?«, feixte Lynn. »Vielleicht wäre unser Schuldirektor Sam ja dazu bereit.«
Lachend gab Kate ihr einen Klaps auf den Arm. »Nix da, Sam steht nicht zur Verfügung. Aber wie wäre es mit deinem Doktor – der kann doch erste Hilfe.«
»Ich könnte auch Glenn bitten, einen seiner Jungs vorbeizuschicken«, Violet hielt sich den Bauch vor Lachen, »ihr wisst ja: die Polizei, dein Freund und Helfer.«
So ging es noch eine ganze Weile weiter, und als sich schließlich alle wieder beruhigt hatten, erklärte Matilda: »Ich hatte nicht mit Leahs Besuch gerechnet, und habe jetzt das Problem, dass ich nicht weiß, wo ich sie unterbringen soll. Das Pfarrhaus ist viel zu klein und der Reverend hat das ehemalige Gästezimmer zu einer Bibliothek umfunktioniert. Gott allein weiß, was ein einzelner Mensch mit so vielen Büchern anfangen will.«
Sie erging sich eine Weile in detaillierten Beschreibungen von den seltsamen Angewohnheiten des neuen Pfarrers, dann kehrte sie wieder zum ursprünglichen Thema zurück. »Jedenfalls müssen wir jetzt eine Bleibe für Leah finden und ich hatte gehofft, dass vielleicht irgendjemand von euch ihr eine Unterkunft anbieten kann.«
Fragend schaute sie in die Runde, doch fast alle zuckten mit den Schultern oder schüttelten bedauernd den Kopf.
»Ich würde sie ja sofort bei mir aufnehmen«, erklärte Dotty Penrose, »aber das Inn ist voll bis unters Dach und platzt fast aus allen Nähten.«
Janey nickte. »Bei uns auf der Ranch sind auch alle Zimmer belegt.«
»Du hast dir einen schlechten Zeitpunkt für einen Besuch ausgesucht«, stellte Michelle fest. »Ich würde dir ja unser Gästezimmer anbieten, aber Trents Eltern kommen am Samstag für eine Woche zu Besuch.«
Verlegen zuckte Leah mit den Achseln. »Es sind Semesterferien.«
»Semesterferien«, wiederholte Stormy interessiert. »Was studierst du denn?«
»Betriebswirtschaft.«
»Dann wüsste ich vielleicht doch eine Lösung für euer Problem.« Claire beugte sich ein wenig über den Tisch und sah Leah an. »Mein Mann Dillon und ich fliegen übermorgen für ein paar Wochen nach Florida zu seinen Eltern, und Dillons Bruder Nash jammert, dass er in dieser Zeit den Betrieb alleine managen muss. Vielleicht können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Du hilfst ein bisschen auf der Ranch mit und könntest als Gegenleistung dafür in Dillons altem Apartment wohnen.«
Leah zog die Nase kraus. »Und was hätte ich da zu tun?«
»Nichts Wildes. Nash steht auf dem Kriegsfuß mit Papierkram, und mit deinen Kenntnissen könntest du ihn vielleicht ein wenig bei den Büro- und Verwaltungsaufgaben unterstützen.«
»Aber ich habe keine Praxiserfahrung«, gab Leah zu bedenken.
Wanda grinste breit. »Nash dafür umso mehr.«
»Genau«, Sally kicherte, »er wird dir sicher zeigen, wo es langgeht.«
»Wovon redet ihr?«, fragte Leah irritiert.
Ihre Tante verzog das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Vom größten Schürzenjäger im ganzen Umkreis«, erklärte sie, »und ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, dass du alleine mit ihm auf der Ranch bleiben sollst.«
»Um Himmels willen«, sagte Claire, »das klingt ja beinahe so, als wäre Nash ein Axtmörder. Ja, er übertreibt es vielleicht ein bisschen mit seinen Bettgeschichten, aber schließlich ist er Junggeselle und kann tun und lassen, was er will. Und Leah wird auch nicht mit ihm alleine sein. Sam, Martha, Anne und Minttu sind doch auch da, und natürlich noch eine Menge Gäste. Außerdem hat er noch nie etwas mit jemandem vom Personal angefangen, es gibt also gar keinen Grund, sich Sorgen zu machen.«
»Einmal ist immer das erste Mal«, murmelte Matilda und sah Claire zweifelnd an. »Ich weiß nicht. Meinst du wirklich, das wäre etwas für Leah?«
Leah, die das Gespräch schweigend verfolgt hatte, war ebenfalls nicht überzeugt von dieser Idee. Die Vorstellung, dass sie ihre Ferien auf einer abgelegenen Ranch verbringen sollte, noch dazu mit einem unbekannten Kerl, der offenbar einen schlechten Ruf hatte, gefiel ihr nicht sonderlich. Andererseits war die Aussicht, wochenlang zu Hause zu hocken und Trübsal zu blasen, auch nicht besonders verlockend.
»Nun ja, ich will natürlich niemanden zu irgendetwas überreden«, sagte Claire achselzuckend. Dann lächelte sie Leah an. »Ich kann verstehen, dass du nicht einfach so bei wildfremden Leuten bleiben möchtest. Aber wie wäre es, wenn du dir erst einmal alles anschaust? Ich könnte dich morgen früh, wenn ich unseren Sohn zum Kindergarten bringe, abholen und mit zur Ranch hinaus nehmen. Dann kannst du dich umsehen und in Ruhe entscheiden.« Als Leah immer noch zögerte, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu: »Wir haben übrigens auch ein Schwimmbad, und einen Fitnessraum gibt es ebenfalls.«
Ein Pool und ein Fitnessraum? Das waren allerdings zwei große Bonuspunkte.
»In Ordnung«, stimmte Leah nach kurzem Überlegen zu, »ich kann es mir ja wenigstens einmal anschauen.«
***
Der restliche Abend verging wie im Flug, und es war kurz vor elf, als Leah und ihre Tante sich auf den Rückweg ins Pfarrhaus machten. Dort richtete Matilda für sie ein provisorisches Lager auf der Couch im Wohnzimmer her. Sie wünschten sich eine gute Nacht und Matilda verschwand in ihr Schlafzimmer.
Leah versuchte, es sich auf dem Sofa halbwegs bequem einzurichten, doch an Schlaf war nicht zu denken, zu viele Dinge gingen ihr durch den Kopf. Als sie dann in den frühen Morgenstunden endlich einnickte, wurde sie kurz darauf vom durchdringenden Läuten der Kirchenglocken geweckt. Draußen war es bereits hell, doch ein rascher Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, dass es gerade mal halb sieben war, und mit einem leisen Stöhnen vergrub sie ihr Gesicht im Kopfkissen.
Wenig später stand Matilda in der Tür und drängte sie, aufzustehen. Leah schlurfte ins Bad, duschte, zog sich an und saß anschließend mit ihrer Tante und dem wortkargen Reverend beim Frühstück.
Um kurz nach neun erschien Claire, um sie wie vereinbart abzuholen. Sie begrüßten sich, und Leah stieg zu ihr in den taubenblauen Ford Escape, den sie direkt vor dem Pfarrhaus geparkt hatte, und wenige Minuten später hatten sie Elkpoint hinter sich gelassen.
»Ich habe gestern Abend noch mit Dillon gesprochen«, berichtete Claire, während sie den Wagen mit sicherer Hand in Richtung Berge lenkte. »Er war ganz begeistert von der Idee, dass du aushilfst und will dir sogar ein kleines Gehalt bezahlen.«
»Ehrlich? Damit hatte ich gar nicht gerechnet.«
»Ich weiß. Aber Dillon meint, wenn du mitarbeitest, sollst du auch einen Lohn dafür bekommen, und damit hat er völlig recht. Außerdem habe ich mir überlegt, dass du mein Auto haben kannst, solange wir weg sind. Die Ranch ist doch ziemlich abgelegen, und du wirst ja bestimmt hin und wieder deine Tante besuchen wollen.« Claire bog in eine schmale Seitenstraße ab, die am Fuß der Berge entlang führte. »Es wird dir auf der Ranch sicher gefallen«, sprach sie weiter. »Alles ist sehr locker und familiär, und vor Nash musst du auch keine Angst haben. Er ist ein lieber Kerl und ihr werdet sicher gut miteinander auskommen.«
Leah zog die Augenbrauen hoch. »Ist er wirklich so ein Schürzenjäger, wie die anderen alle sagen?«
»Na ja«, Claire schmunzelte, »er ist ungebunden und natürlich möchte er ab und zu ein bisschen Spaß haben. Aber er wird dich nicht belästigen, das garantiere ich dir.«
Hoffentlich, ging es Leah durch den Kopf. Wenn sie sich wirklich zum Bleiben entscheiden sollte, konnte sie Probleme dieser Art nicht gebrauchen.
Nach zwanzig Minuten Fahrt tauchte die Ranch vor ihnen auf – ein weitläufiger Komplex aus Holz und Naturstein, eingebettet in die sanften Hügel am Fuß der Rocky Mountains.
Claire parkte den Wagen in einer offenen Scheune, wo zwei silberne Vans mit der Aufschrift ›Belmont Ranch‹, ein smaragdgrüner Chevrolet Tahoe und ein wunderschöner Oldtimer abgestellt waren. Sie stiegen aus und Claire führte Leah über die gekieste Auffahrt ins Haus.
In der mit zahlreichen Grünpflanzen dekorierten, geräumigen Eingangshalle war es angenehm kühl. Mehrere Türen zweigten ab, durch eine verglaste Doppeltür auf der gegenüberliegenden Seite war ein begrünter Innenhof zu erkennen, linker Hand führte eine Treppe in die obere Etage.
Claire trat an eine offene Tür und steckte den Kopf hinein. »Hallo Schatz, ich bin wieder da.«
Ein großer, breitschultriger Mann mit dunklem Haar kam heraus, umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Hallo Liebling.« Danach wandte er sich Leah zu. »Du musst dann wohl Matildas Nichte sein.«
Sie nickte und reichte ihm die Hand. »Ja, Leah Miller.«
»Ich bin Dillon Belmont, Claires Mann. Meinem Bruder Nash und mir gehört die Ranch. Hast du dich schon umgesehen?«
Leah schüttelte den Kopf, und Claire sagte: »Nein, ich dachte, dass du Leah herumführst, du kennst dich wesentlich besser aus als ich.«
»Das ist überhaupt nicht wahr«, wehrte Dillon schmunzelnd ab. »Mach du das ruhig, ich übernehme dafür nachher die Einweisung im Büro.«
»Weiß Nash schon Bescheid?«
Dillon schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte erst einmal abwarten, ob Leah tatsächlich bleibt, bevor ich die Pferde scheu mache.«
»Eine weise Entscheidung.« Claire lächelte ihn an, und es war deutlich zu sehen, wie verliebt sie in ihn war. »Nun, dann sollten wir jetzt vielleicht unseren Rundgang starten.«
»Viel Spaß«, wünschte Dillon und verschwand wieder in der Tür, aus der er hinausgekommen war.
»Also los«, sagte Claire zu Leah und deutete nacheinander auf die einzelnen Türen. »Hier unten gibt es unser Büro, die Küche und den Wirtschaftsraum mit Waschmaschinen, Wäschetrockner, Bügeleisen und so weiter. Außerdem befindet sich hier der Aufenthaltsraum für die Gäste, der auch für die Mahlzeiten genutzt wird.«
Sie öffnete eine doppelflügelige Tür und Leah folgte ihr in den Raum.
»Wenn es draußen kälter ist, sitzen wir hier abends oft mit den Gästen zusammen, spielen Brettspiele, schauen fern oder unterhalten uns einfach nur. Wir legen großen Wert auf eine familiäre Atmosphäre und tun alles, damit sich unsere Gäste wie zuhause fühlen.«
Leah sah sich um und stellte fest, dass der Aufenthaltsraum Gemütlichkeit ausstrahlte: grüne Tischdecken, frische Blumen, ein großer Kamin und breite Sofas, die zu langen Gesprächen einluden.
Vom dort aus ging es hinaus in den Innenhof, der üppig bepflanzt und teilweise überdacht war. Liegestühle und Sitzbänke mit dicken Polstern luden zum Sonnen und Entspannen ein, um einen großen gemauerten Grill herum waren bunte Sonnenschirme über Tischen und Stühlen aufgespannt.
Claire führte Leah zum rechten Flügel des Hauses und öffnete eine Tür. »Hier befindet sich der Fitnessraum, den du jederzeit benutzen kannst, das gilt natürlich auch für das Schwimmbad und den Whirlpool.«
Leah hatte Mühe, einen erstaunten Laut zu unterdrücken. Die Ausstattung übertraf ihre Erwartungen – von Laufbändern über Hantelbänke bis hin zu einer Butterfly-Maschine war alles vorhanden.
»Das ist toll«, entfuhr es ihr begeistert.
Claire lächelte. »Hört sich so an, als ob du Sport magst.«
»Oh ja, ich liebe alles, was mit Bewegung und Aktivität zu tun hat.«
»Dann bist du hier genau richtig. – Gehen wir hinüber zum Spa-Bereich.«
Die beiden Frauen überquerten den Innenhof, und als sie den Poolbereich betraten, stockte Leah kurz der Atem. Durch die bodentiefen Fenster reichte der Blick bis zu den Bergen, die Aussicht war spektakulär. Direkt neben dem Schwimmbecken sprudelte ein Jacuzzi munter vor sich hin, ein älteres Ehepaar hatte es sich darin gemütlich gemacht.
Claire winkte den beiden zu und deutete dann auf eine Tür am seitlichen Ende der Halle. »Da geht’s zur Sauna und den Massageräumen, aber das wird Nash dir sicher auch noch zeigen.«
Sie verließen den Seitenflügel und folgten einem schmalen, gepflasterten Weg zu einem flachen Gebäude, das etwas abseits stand.
»Hier wäre deine Unterkunft«, erklärte Claire und öffnete eine der beiden nebeneinanderliegenden Eingangstüren. »Das ist Dillons altes Apartment, jetzt wohnen wir in der Lodge ein Stück vom Ranchhaus entfernt.«
Neugierig folgte Leah ihr nach drinnen und fand sich in einem geräumigen Wohnzimmer wieder. Es gab einen kleinen Kamin, eine Kommode mit einem Flachbildfernseher und ein Big Sofa mit einem Glastisch. Eine Frühstückstheke mit zwei Barhockern trennte den Wohnbereich von der offenen Küche, die mit den gängigen Geräten und einem großen Kühlschrank ausgestattet war.
»Es ist alles vorhanden, was du zum Kochen brauchst«, erklärte Claire, »aber natürlich kannst du drüben mit den Gästen essen, das ist bei uns so üblich. Frühstück gibt es von sieben bis neun, Lunch um zwölf, Abendessen um halb sieben. Wenn ein Ausflug stattfindet, essen unsere Gäste außerhalb, aber Martha kocht trotzdem immer eine Kleinigkeit, du wirst also nicht verhungern.«
Mit einem versonnenen Lächeln strich Claire über die mit weißem Rauputz verkleidete Wand, dann schüttelte sie mit geröteten Wangen den Kopf, als wolle sie einen Gedanken verscheuchen und öffnete eine Tür. »Hier ist das Schlafzimmer, daneben das Bad, und das war es auch schon. Es ist kein Palast, aber du hast deine eigenen vier Wände und falls doch mal etwas sein sollte, ist Nash nebenan, du bist also nicht völlig allein.«
Leah schaute kurz in den mit einem Doppelbett und einem Kleiderschrank ausgestatteten Schlafraum, dessen Panoramafenster ebenfalls einen atemberaubenden Blick auf die Berge bot. Dann kehrte sie wieder in den Wohnraum zurück und trat an die bodentiefen Fenster. Dahinter lag eine kleine Terrasse, auf der eine gemütliche Sitzgruppe aus Rattan und ein runder Tisch standen. Im Geiste sah sie sich dort abends sitzen und mit einer kühlen Limonade den Sonnenuntergang über den Bergen genießen.
Die Vorstellung gefiel ihr und nach allem, was sie gesehen hatte, fiel ihr die Entscheidung jetzt nicht mehr schwer.
Die Belmont-Ranch war idyllisch gelegen, alleine die malerische Umgebung war schon einen Aufenthalt wert. Hinzu kam, dass sie ein eigenes Apartment hatte, noch dazu mit einem wunderbaren Ausblick auf die Rocky Mountains. Das große Schwimmbecken und der Fitnessraum kamen ihrer Leidenschaft für Sport entgegen, und vielleicht bot sich ja auch die Möglichkeit, ein paar Klettertouren in die Berge zu unternehmen. Dass Dillon ihr sogar ein kleines Taschengeld für ihre Arbeit zahlen wollte, war das Sahnehäubchen auf der Torte, besser hätte sie es nicht treffen können.
Sie ließ ihren Blick noch einmal durch das Apartment schweifen, dann drehte sie sich um und nickte Claire zu. »Ich nehme den Job an.«
Kapitel 3
Nash räumte die Massagekabine auf, desinfizierte die Liege und verließ dann den Spa-Bereich, um sich vor dem nächsten Termin eine Tasse Kaffee zu gönnen. Da an diesem Tag kein Ausflug auf dem Programm stand, hatten sich fast sämtliche Gäste für eine Massage eingetragen, und er und Minttu hatten alle Hände voll zu tun – im wahrsten Sinne des Wortes.
Er betrat das Hauptgebäude und wandte sich in Richtung Küche, hörte dann jedoch Dillons Stimme und bog ins Büro ab.
Als er in den Raum kam, sah sein Bruder auf und lächelte. »Hey Nash, fertig mit dem Durchkneten?«
Er verschränkte die Finger, drehte die Hände um und ließ seine Knöchel knacken. »Nur eine kurze Pause, dann geht es weiter. – Gibt es irgendetwas Wichtiges?«
Dillon zuckte mit den Schultern. »Der Lebensmittellieferant hat eine falsche Rechnung ausgestellt, in Zimmer drei ist das Waschbecken verstopft und der Sohn der Flahertys hat gestern offenbar irgendwo etwas Verdorbenes gegessen und übergibt sich die ganze Zeit.«
»Also alles wie immer«, erwiderte Nash trocken.
»Da wäre noch eine Kleinigkeit.«
Der beiläufige Ton in der Stimme seines Bruders ließ ihn aufhorchen. »Und zwar?«
»Matildas Nichte wird auf der Ranch arbeiten, solange wir weg sind. Sie ist während ihrer Semesterferien zu Besuch in Elkpoint, und Claire hatte die Idee, dass sie für mich einspringen und dich unterstützen könnte.«
Nash fiel die Kinnlade herunter. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Wieso? Du hast doch so gejammert, dass ich dich hier mit allem alleine lasse.«
»Ja, aber ich brauche niemanden, der mir das Händchen hält. Und dann auch noch Matildas Nichte. Ausgerechnet! Womit soll sie mich denn unterstützen? Mit Gebeten und frommen Sprüchen?«
»Leah studiert Betriebswirtschaft«, berichtete Dillon. »Da du dich ja nicht so gerne mit dem Papierkram abgibst, wird sie dir sämtliche Büroarbeiten abnehmen, sodass du dich ausschließlich um die Gäste kümmern musst. Wie klingt das?«
»Als ob sie keinerlei Berufserfahrung hätte und mir noch mehr Arbeit machen würde«, erwiderte Nash mürrisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
Gott, was dachte sein Bruder sich nur dabei? Er würde sowieso schon genug zu tun haben, auch ohne aufzupassen, dass diese Betschwester kein Chaos veranstaltete.
»Und wo soll sie schlafen?«, wandte er ein und warf Dillon einen missmutigen Blick zu. »Wir sind komplett ausgebucht.«
»Sie kann für die Zeit ihres Aufenthalts mein altes Apartment haben. Matilda hat händeringend nach einer Bleibe für Leah gesucht, deswegen kam Claire ja auf die Idee, ihr einen Job anzubieten und sie als Gegenleistung hier einzuquartieren.«
»Na super. Das hat mir gerade noch gefehlt.«
Dillon seufzte. »Dir kann man aber auch nichts recht machen. Erst heulst du rum, dass du alles alleine machen musst, und jetzt willst du keine Hilfe. Aber schön, wenn es dir nicht passt, dann …«
In diesem Moment ertönte Lachen draußen in der Halle und Sekunden später bog Claire um die Ecke. Im Schlepptau hatte sie eine junge Frau, deren Anblick schlagartig Nashs Jagdinstinkt aktivierte.
Er ließ seinen Blick über sie gleiten. Mit ihren kleinen Brüsten und der schlanken Figur entsprach sie so gar nicht seinem Beuteschema, er mochte es gerne üppig und prall. Aber diese endlos langen, wunderbar definierten Beine, die unter dem kurzen Rock hervorschauten, waren der Hammer. Unwillkürlich schossen ihm Bilder durch den Kopf, Bilder von diesen herrlichen Beinen, wie sie sich um seine Hüften schlangen …
»Leah – das ist Nash«, sagte Claire und die Nennung seines Namens weckte ihn aus seinen Fantasien. »Nash, das ist Leah.« An Dillon gewandt fügte sie hinzu: »Sie wird den Job annehmen.«
Dieser rieb sich das Kinn. »Tja, ich fürchte, es gibt da ein kleines Problem …«
»Nein«, unterbrach Nash ihn hastig, »nein, kein Problem. Es ist alles in Ordnung.« Er reichte Leah die Hand. »Herzlich willkommen.«
»Ja, danke«, murmelte sie zurückhaltend und zog ihre Hand dann rasch wieder weg.
Er lächelte. »Ich muss gleich zurück an die Arbeit, aber wenn du willst, führe ich dich später herum.«
»Das habe ich bereits getan«, sagte Claire, »ich habe ihr alles gezeigt und bin sicher, dass sie sich zurechtfinden wird.« Sie sah Leah an. »Ich fahre jetzt Leon abholen. Wenn du willst, nehme ich dich mit, dann kannst du deine Sachen aus dem Pfarrhaus holen und wieder mit zurückfahren.«
Leah nickte. »Ja, sehr gerne. Ich bin nicht scharf darauf, noch eine weitere Nacht auf dem Sofa zu verbringen.«
»Prima«, Dillon lächelte zufrieden, »dann kann ich dich heute Nachmittag ja in Ruhe mit deinen Aufgaben vertraut machen.«
»Gut, machen wir uns auf den Weg.« Claire beugte sich zu ihrem Mann herunter und gab ihm einen liebevollen Kuss. »Bis später. Schatz.«
»Bis dann, Liebling.«
Nash verdrehte die Augen. »Oh Mann, warum nehmt ihr euch nicht ein Zimmer?«
Lachend richtete Claire sich wieder auf, trat zu ihm und drückte ihm einen lautstarken Schmatzer auf die Backe. »Nur kein Neid.«
»Biest«, sagte Nash und rieb sich die Wange, doch sein Ton war liebevoll. »Verschwinde, bevor ich dich übers Knie lege.«
Claire grinste frech. »Tut mir leid, aber das ist Dillons Privileg.« Sie nahm Leah beim Arm. »Komm, verschwinden wir lieber, bevor er seine Drohung in die Tat umsetzt.«
Die beiden Frauen verließen das Büro und Nash folgte Leah mit seinem Blick, bis sie um die Ecke verschwunden war.
»Du hast deine Meinung ja sehr schnell geändert«, stellte Dillon fest.
Achselzuckend wandte Nash sich zu ihm um. »Ihr habt doch sowieso schon alles entschieden«, erwiderte er und bemühte sich um einen gleichgültigen Tonfall. »Außerdem ist es vielleicht doch eine ganz gute Idee, wenn sie mir den Bürokram abnimmt.«
Dillon kniff die Augen zusammen. »Nash …«
»Ich muss los, die nächste Massage steht an. Bis später.«
Bevor sein Bruder noch etwas sagen konnte, verließ Nash das Büro. Mit einem vergnügten Lächeln durchquerte er die Halle. Die kommenden Wochen schienen doch besser zu werden, als er zunächst geglaubt hatte.
Hat dir die Leseprobe gefallen? Dann komm mit nach Elkpoint und erlebe einen romantischen Sommer voller prickelnder Momente, Humor und tiefer Gefühle, der im Herzen bleibt!