In einen Escort verliebt man sich nicht

Ebook & Taschenbuch

Um den dringend benötigten Job zu ergattern, gibt die alleinerziehende Mutter Kate Wilson einen Escort als ihren Ehemann aus. Sam erweist sich als perfekter Begleiter, und so bleibt es nicht bei einem Abendessen. Trotz ihrer Vorbehalte verbringt Kate eine heiße Nacht mit ihm – fest davon überzeugt, dass sie ihm niemals wieder begegnen wird …

Kapitel 1

Es war der erste Sonntag im März, und wie an jedem ersten Sonntag im Monat fand auch diesmal das übliche Familienessen im Hause Hartley statt. Kate Wilson hatte sich zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Lynn eingefunden und beide saßen gemeinsam mit ihren Eltern am Esstisch im Wohnzimmer.

Während sich alle schweigend mit ihren Tellern beschäftigten, ließ Kate ihren Blick durch den Raum schweifen und stellte wie so oft fröstelnd fest, dass sich hier seit ihrer Kindheit nichts verändert hatte.

Das ganze Wohnzimmer wirkte leblos und steril, wie auf einem Foto aus einem Möbelkatalog. Die beiden Sessel, die das mit grünem Chintz bezogene Sofa flankierten, waren genau in einem Winkel von neunzig Grad dazu ausgerichtet. Die farblich abgestimmten Cocktailkissen lehnten in den Ecken der Sitzmöbel, allesamt mittels Handkantenschlag in Form gebracht. Auf dem Couchtisch, der exakt mittig dazwischen platziert war, lag nichts außer einem gehäkelten Zierdeckchen, auf dem – ebenfalls in der Mitte – eine Vase mit einem Trockenblumenstrauß stand. Die hölzerne Tischplatte war so blankpoliert, dass man sich darin spiegeln konnte, ebenso wie die Oberflächen der Kommode und des Bücherregals. Am Fenster hingen schneeweiße Gardinen, deren akkurate Falten alle denselben Abstand hatten, als hätte sie jemand akribisch mit einem Lineal ausgemessen. Der Kamin sah aus wie neu, außer direkt um das leise knisternde Feuer herum war kein Hauch von Ruß oder Asche zu entdecken; das Kaminbesteck aus Edelstahl glänzte mit der gläsernen Bodenschutzplatte um die Wette. Das ganze Zimmer war blitzblank, nirgends lag ein Stäubchen, selbst der Fußboden war trotz des regnerischen Wetters so sauber, dass man ohne Bedenken von ihm hätte essen können.

So unterkühlt wie der Raum war auch die Atmosphäre bei Tisch, daran konnten weder der aromatische Duft der Speisen noch das behagliche Kaminfeuer etwas ändern.

»Das Essen war wie immer köstlich, Mom«, lobte Kate, um die frostige Stimmung wenigstens ein bisschen aufzulockern. Sie spießte das letzte Stück des Rinderbratens von ihrem Teller auf, schob es sich in den Mund und gab einen genüsslichen Laut von sich. »Hm, einfach lecker.«

»Was gibt es zum Nachtisch?«, wollte Lynn wissen.

Elizabeth Hartley verzog die Lippen zu einem säuerlichen Lächeln, das ihre ganze Enttäuschung zum Ausdruck brachte. »Ich habe eine Snickers-Cheesecake gemacht, extra für Brian, er isst sie doch so gerne.«

Ihr Ton war vorwurfsvoll, und Kate, die schon im Vorfeld geahnt hatte, dass das Essen keineswegs harmonisch verlaufen würde, zwang sich, nicht die Augen zu verdrehen.

»Du wusstest, dass Brian das Wochenende bei Connor verbringt.«

»Und du wusstest, dass heute unser Familienessen stattfindet«, erwiderte Elizabeth pikiert.

»Ja, aber wir haben nun mal eine Besuchszeitenregelung, und ich hatte keine Lust, mit Connor über einen Tausch zu diskutieren.«

»Das wäre auch nicht nötig, wenn du endlich zur Besinnung kommen würdest.«

Kate unterdrückte ein Stöhnen. Seit drei Jahren war sie jetzt von Connor geschieden, und ihre Eltern konnten noch immer nicht verstehen, weshalb sie sich von ihm getrennt hatte. Bei jedem Treffen lagen sie ihr mit diesem Thema in den Ohren, und Sätze wie »was sollen nur die Leute von uns denken« bis hin zu »er ist doch schließlich Brians Vater« gehörten zum üblichen Repertoire.

Sie griff nach der Serviette und wischte sich den Mund ab. »Die Trennung ist jetzt drei Jahre her, wieso sollte ich meine Entscheidung plötzlich rückgängig machen?«

»Ihr wart doch so verliebt ineinander.«

»Ja, bis ich herausgefunden habe, dass er mich mit allem betrügt, was bei drei nicht auf dem Baum ist.«

Verständnislos schüttelte Elizabeth den Kopf. »Er ist nun mal ein Mann und die haben eben gewisse Bedürfnisse …«

Kate biss sich auf die Lippe und schwieg. Es hatte keinen Sinn, noch etwas zu sagen. Ihre Eltern beharrten darauf, dass sie über Connors »kleinen Fehltritt« hätte hinwegsehen sollen. Sie hatten nach wie vor Kontakt zu ihm, und da er selbst immer wieder beteuerte, wie leid ihm alles täte, lag es für sie klar auf der Hand, dass Kate die Schuldige war.

»Eine Familie gehört zusammen«, lamentierte ihre Mutter weiter. »Abgesehen davon, dass Brian seinen Vater braucht, wäre es für dich doch auch vorteilhaft, dich wieder mit Connor zu versöhnen. Er ist ein wohlhabender Mann und du hattest es doch so gut an seiner Seite – im Gegensatz zu dem kärglichen Leben, das du jetzt führst.«

»Ich bin zufrieden.«

»Für andere Leute die Steuererklärungen machen«, überging Elizabeth Kates Einwand, »das ist doch kein vernünftiger Beruf.«

»Doch das ist es, immerhin verdiene ich damit meinen Lebensunterhalt.«

»Was offenbar nicht funktioniert, sonst wärest du nicht in finanziellen Schwierigkeiten.«

»Ich bin nicht in Schwierigkeiten.«

»Brian hat gesagt, ihr müsstet sparen.«

»Ja, es ist im Moment etwas knapper als sonst«, gab Kate widerwillig zu und verfluchte sich insgeheim, dass sie ihrem Sohn von dem Engpass erzählt und ihm erklärt hatte, sie müssten sich das Geld ein wenig mehr einteilen.

Elizabeth nickte triumphierend. »Na bitte, da haben wir es doch. Diese Probleme hättest du nicht, wenn du wieder zu Connor zurückkehren würdest.«

»Deine Mutter hat völlig recht«, mischte sich Arthur Hartley ein, der sich bis dahin schweigend seinem Essen gewidmet hatte. »Wir können deinen Lebenswandel nicht gutheißen. Du solltest dich um Mann und Kinder kümmern, anstatt um fremder Leute Papierkram und Finanzen.«

Kate unterdrückte einen resignierten Seufzer und erhob sich. »Ich muss los.«

»Ja, es wird langsam Zeit«, pflichtete Lynn ihr bei und stand ebenfalls auf.

»Aber was ist denn mit dem Nachtisch?«, fragte Elizabeth indigniert. »Ein paar Minuten werdet ihr doch wohl noch bleiben können.«

»Ich weiß nicht genau, wann Connor Brian zurückbringt und möchte zu Hause sein, wenn sie kommen«, erklärte Kate, während sie, gefolgt von Lynn, die Garderobe ansteuerte und sich ihre Jacke anzog.

Ihre Mutter schnaubte missbilligend. »Das ist wieder so typisch für dich. Du hättest eine Uhrzeit vereinbaren sollen, dann müsstest du jetzt nicht so überhastet aufbrechen und uns hier einfach sitzenlassen.«

»Tut mir leid«, murmelte Kate und wickelte sich ihren Schal um den Hals. »Danke für das Essen.«

Um jeden weiteren Widerspruch im Keim zu ersticken, drückte sie zuerst ihrer Mutter, dann ihrem Vater einen raschen Kuss auf die Wange. Lynn tat das Gleiche, danach verließen die beiden Schwestern gemeinsam das Haus.

»Puh, das war mal wieder ein gruseliges Familienessen«, stieß Lynn hervor, als sie und Kate, zusammen unter einen Regenschirm gedrängt, wenig später in Richtung Mainstreet gingen.

»Du hast gut reden, Kleine«, sagte Kate trocken, »auf dir hacken sie schließlich nicht die ganze Zeit herum. Irgendwie schaffst du es immer, bei Mom und Dad wie ein Engel dazustehen, obwohl wir doch beide wissen, dass du es faustdick hinter den Ohren hast.«

Lynn grinste. »Ja, die Unschuldsnummer habe ich wirklich perfekt drauf. Aber abgesehen davon lässt du dir von ihnen auch viel zu viel gefallen. Mich wundert immer wieder, dass du so ruhig bleiben kannst.«

»Was soll ich denn noch sagen?« Kate zuckte mit den Schultern. »Sie sind auf Connors Seite, und das wird sich wohl auch nie ändern.«

»Er ist nun mal ein Mann und die haben eben gewisse Bedürfnisse«, imitierte Lynn ihre Mutter mit näselnder Stimme und schüttelte den Kopf. »Ich frage mich, ob sie genauso verständnisvoll wäre, wenn Dad alles flachlegen würde, was Brüste hat und einen Rock trägt.«

»Bah, das will ich mir gar nicht vorstellen. Themawechsel. – Kommst du noch mit zu mir? Es wird bestimmt eine Weile dauern, bis Connor und Brian da sind, und ich habe noch einen großen Eimer Ben & Jerry’s da.«

Lynn war einverstanden, und so überquerten sie die Hauptstraße, bogen in die Walnut Street ein und erreichten wenig später das kleine Haus, welches Kate zusammen mit ihrem Sohn bewohnte.

Kates Heim war das genaue Gegenteil des klinisch wirkenden Domizils ihrer Eltern. Ein bunter Läufer auf den ausgetretenen Holzdielen wies den Weg vom Windfang zum Wohnbereich. Das breite Sofa mit geblümtem Überwurf und unzähligen, wahllos verteilten Kissen wurde von zwei nicht zueinander passenden Sesseln flankiert, in der Mitte befand sich ein ovaler Couchtisch. Darauf standen eine Schale mit Obst, eine Flasche Wasser und ein Glas, daneben lagen einige Finanz-Zeitschriften sowie ein Notizblock mit Kugelschreiber.

Die Sitzmöbel waren so vor einem gemauerten Kamin gruppiert, dass man von jedem Platz aus bequem auf den Fernseher schauen konnte. Das Gerät stand auf einer Kommode, welche als Raumteiler zwischen dem Wohnbereich und der offenen Küche fungierte. Auf dem Schreibtisch, der an der Rückseite des Windfangs platziert war, lagen etliche Papierstapel, der Stuhl davor war ein hölzernes Ungetüm, das aus einem längst vergangenen Jahrhundert zu stammen schien.

Wenig später hatte Kate ein Feuer entfacht, und die beiden Frauen machten es sich auf dem Sofa bequem. Sie löffelten abwechselnd Schokoladeneis aus einem Becher, aßen Cookies, tranken Kaffee und plauderten, bis am frühen Abend draußen ein Wagen vorfuhr.

Kate drückte ihrer Schwester den Behälter mit dem Eis in die Hand. »Das werden Connor und Brian sein.«

»Soll ich öffnen und Meister Popper abwimmeln?«, bot Lynn an.

»Nein lass nur, ich gehe schon.« Kate erhob sich. »Und du sollst Connor nicht immer Meister Popper nennen, irgendwann wird Brian das hören.«

Kaum hatte sie ausgesprochen, da flog die Haustür auf und ihr Sohn stürmte herein.

»Mom!« Freudestrahlend fiel er ihr um den Hals. »Ich hab’ dich vermisst.«

Sie drückte ihn an sich und stellte wieder einmal fest, wie groß er für seine neun Jahre schon war. Liebevoll strich sie ihm eine dunkle Locke aus der Stirn. »Ich dich auch, mein Schatz.« Über Brians Schulter hinweg nickte sie dem blonden Mann zu, der in der Tür stand. »Hallo Connor.«

Er lächelte jovial. »Hi Kate, schön, dich zu sehen.«

»Und, wie war die Geburtstagsfeier?«, wandte sie sich wieder Brian zu.

»Ganz okay«, erklärte der Kleine mit einem verlegenen Blick zu seinem Vater.

Kate runzelte die Stirn. »Das hört sich nicht sehr begeistert an.«

»Wir waren den ganzen Tag im Country Club und da gab es nur alte Leute«, berichtete Brian hörbar frustriert. »Außerdem war alles stinkvornehm, und ich musste mich die ganze Zeit benehmen.«

»Das ist jetzt aber sehr unhöflich von dir«, mahnte Kate ihn, obwohl sie sich genau vorstellen konnte, wie der Geburtstag ihrer Schwiegermutter abgelaufen war. »Du solltest dich freuen, dass du mitfeiern durftest.«

»Ja, tue ich ja auch.« Brians gequälte Miene verwandelte sich in ein Strahlen. »Dafür habe ich von Dad ein neues Smartphone bekommen. Kann ich zu Pete rüber gehen und es ihm zeigen?«

»Na schön.« Kate nickte. »Aber nur für eine Stunde. Es ist schon spät, und es gibt bald Abendessen.«

Brian flitzte davon und sobald er außer Hörweite war, warf sie Connor einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Was soll das? Warum überschüttest du ihn ständig mit teuren Geschenken? Bald ist Ostern und in ein paar Wochen hat er auch schon wieder Geburtstag. Hättest du mit dem Handy nicht bis dahin warten können?«

»Wenn ich meinen Sohn schon nicht ständig bei mir haben kann, möchte ich ihn wenigstens verwöhnen, du kannst dir das ja finanziell nicht erlauben. – Und wo wir gerade beim Thema sind: Hast du inzwischen einen Job gefunden?«

Kate presste die Lippen zusammen und senkte wortlos den Kopf.

»Dachte ich es mir doch.« Connor lehnte sich ein wenig nach vorne und hob den Zeigefinger. »Hör zu, ich gebe dir noch vier Wochen Zeit, für ein regelmäßiges Einkommen zu sorgen, ansonsten hole ich Brian zu mir. Ich werde nicht zulassen, dass mein Sohn in Armut aufwächst.«

»Das ist ja wohl stark übertrieben«, setzte Kate an, doch Connor ließ sie nicht ausreden.

»Weißt du, Katielein«, seine Stimme nahm einen süßlichen Ton an, »dieses Thema müssten wir gar nicht diskutieren, wenn du wieder zu mir zurückkommen würdest.«

»Ich …«

»Warum unterhalten wir uns nicht in Ruhe darüber – vielleicht bei einer Tasse Kaffee?«

Ehe Kate widersprechen konnte, schob ihr Ex-Mann sich an ihr vorbei ins Haus.

»Du hast Besuch«, stellte er enttäuscht fest, nachdem er das Wohnzimmer betreten hatte.

Lynn warf ihm einen kalten Blick zu. »Ja, und im Gegensatz zu dir wurde ich eingeladen.«

»Also dann …«, Kate, die abwartend neben dem Windfang stehengeblieben war, machte eine auffordernde Handbewegung in Connors Richtung. »Bis übernächste Woche. Und denk daran, ich habe einen Tausch gut.«

Connor verzog das Gesicht. »Diese ganze Besuchsregelung ist der größte Schwachsinn. Brian und ich sollten viel mehr Zeit miteinander verbringen, man merkt, dass ihm der Vater fehlt.«

Abwehrend hob Kate die Hände. »Nun fang nicht wieder damit an, Brian hat alles, was er braucht.«

»Ja, das sehe ich«, höhnte Connor. »Du schaffst es mit Ach und Krach, euch über die Runden zu bringen. Und abgesehen von deinen finanziellen Problemen braucht Brian eine männliche Bezugsperson.«

»Damit er lernt, sich durch sämtliche Betten zu vögeln?«, kam es trocken von der Couch.

Connor kniff die Augen zusammen und warf Lynn einen bösen Blick zu. »Wie wäre es, wenn du dich einfach um deine eigenen Angelegenheiten kümmerst?«

»Kate gehört zu meinen Angelegenheiten, und sie hat was Besseres verdient als dich.«

Mit einem gereizten Schnauben wandte Connor sich wieder Kate zu. »Wir reden ein anderes Mal weiter. Und denk dran, du hast vier Wochen Zeit, um einen Job zu finden, sonst beantrage ich das alleinige Sorgerecht.«

»Du solltest jetzt gehen.«

Erneut deutete Kate mit der Hand in Richtung Eingangstür, und dieses Mal kam Connor ihrer Aufforderung nach.

»Ich hole Brian wie geplant übernächsten Freitag ab«, verkündete er noch, bevor er mit einem knappen »Bye« das Haus verließ.

Kate schloss die Tür, stieß hörbar den Atem aus und ließ sich wieder neben ihrer Schwester auf das Sofa plumpsen. »Musstest du ihn denn so provozieren?«

»Sorry, aber bei seinem Verhalten kriege ich einen Hals.«

»Ich auch, aber ich kann mir keinen Ärger mit ihm erlauben, schon gar nicht, wo die Situation jetzt sowieso so angespannt ist und er mir dauernd mit dem Entzug des Sorgerechts droht.«

»Das ist doch nur leeres Geschwätz.« Lynn winkte ab. »Er versucht, dich unter Druck zu setzen, damit du zu ihm zurückgehst, weiter nichts.«

»Ich will es nicht darauf ankommen lassen. Außerdem möchte ich Brian zuliebe nicht, dass die Situation weiter eskaliert, Connor ist trotz allem immer noch sein Vater.«

Lynn schwieg, und eine ganze Weile war nichts zu hören außer dem Knistern des Kaminfeuers und dem Prasseln des Regens auf dem Dach.

»Ich hätte ihn niemals heiraten dürfen«, sagte Kate schließlich leise. »Alle haben mich gewarnt, aber ich war so geblendet von seinem Aussehen und seinem Charme, und stolz darauf, dass er sich überhaupt mit mir abgegeben hat.«

»Es war nicht deine Schuld.« Lynn schob sich ein Plätzchen in den Mund. »Bedank dich bei unseren Eltern«, sagte sie kauend, »sie sind dafür verantwortlich. Mom mit ihrem übertriebenen Putzfimmel und ihrem ständigen Genörgel. Dad, der sich lieber in seine Hobbywerkstatt im Keller verzogen hat, anstatt mal auf den Tisch zu hauen und ihr zu sagen, dass wir in einem Haus leben und nicht in einem Mausoleum. Und diese gefühlsmäßige Kälte – ich kann mich nicht erinnern, dass Mom uns jemals in den Arm genommen hätte. Kein Wunder, dass du dich dem erstbesten Kerl an den Hals geworfen hast.«

Nachdenklich starrte Kate in die Flammen. »Ich war so dumm. Dabei hätte ich sofort merken müssen, wie Connor tickt. Die ständigen Flirts mit anderen Frauen, seine Arroganz, seine Kontrollsucht, seine Großspurigkeit – rückblickend gesehen hätte das alle Alarmglocken bei mir zum Läuten bringen müssen. Doch dann wurde ich schwanger, und als er sich so sehr darüber freute und mir den Antrag machte, war ich glücklich.«

»Bis er anfing, dich zu betrügen«, kommentierte Lynn trocken.

»Anfangs habe ich es gar nicht bemerkt – oder vielleicht wollte ich es einfach nicht bemerken«, erinnerte Kate sich. »Dabei war es so offensichtlich. Er machte plötzlich öfter Überstunden, kam spät in der Nacht oder manchmal gar nicht nach Hause, oder flog hin und wieder für mehrere Tage in eine der Großstädte. Ich glaubte ihm, wenn er von geschäftlichen Problemen, nächtlichen Telefonkonferenzen oder Tagungen sprach. Selbst als ich Kondome in einer seiner Anzughosen fand, war ich noch bereit, eine harmlose Erklärung dahinter zu vermuten.«

Vorwurfsvoll schüttelte Lynn den Kopf. »Sechs Jahre lang. Und vermutlich hättest du noch länger Augen und Ohren verschlossen, wenn du ihn nicht in flagranti mit seiner Assistentin erwischt hättest.«

»Gott, das war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben.« Kate stand auf und ging in die Küche hinüber, um noch einmal Kaffee aufzusetzen. »Meine ganze Welt brach zusammen«, fuhr sie fort, während sie die Maschine füllte, »und ich weiß bis heute nicht, wie ich damals den Mut aufbrachte, direkt zum Anwalt zu gehen und die Scheidung einzureichen.«

Lynn, die ihr gefolgt war, lehnte sich gegen die Unterschränke. »Ich werde nie vergessen, wie du mit Brian an einer und einem Koffer in der anderen Hand vor meiner Tür standest. Genauso wenig wie den Terror, den Meister Popper danach veranstaltet hat. Sein Gebettel, Gejammer, Geschrei, seine endlosen Versprechungen und seine Drohungen. Gut, dass du hart geblieben bist.«

»Und das, obwohl Mom und Dad sich auf seine Seite geschlagen und ihm den Rücken gestärkt haben.« Mit verstellter Stimme ahmte Kate ihre Mutter nach. »Eine Scheidung, das kannst du doch nicht machen. Was sollen denn die Leute denken?« In normalem Tonfall fuhr sie fort: »Mom hat sich für mich geschämt, und Dad hat mir einen langen Vortrag über die Konsequenzen meiner Entscheidung gehalten. Er hat mich daran erinnert, dass mein Eheversprechen auch schlechte Zeiten beinhaltet, und dass ich nicht wegen einer Kleinigkeit alles hinwerfen solle. Sie haben sich bis heute nicht mit der Scheidung abgefunden, sonst würden sie nicht bei jedem Treffen auf diesem Thema herumhacken.«

Lynn seufzte. »Ich sag‘s ja, du lässt dir viel zu viel gefallen.«

Mit einem leisen Zischen beendete die Kaffeemaschine ihre Arbeit und Kate füllte Kaffee in die Becher. Lynn hat recht, dachte sie dabei. Sie nahm entschieden zu viele Dinge kommentarlos hin, obwohl sie sich im Stillen darüber ärgerte. Im Alltagsleben konnte sie sich durchaus behaupten, aber sobald es um ihre Familie ging, war sie nicht fähig, sich durchzusetzen. Mit einem leisen Seufzen nippte sie an ihrem Kaffeebecher. Wenn sie es doch nur schaffen würde, ihren Eltern und Connor endlich einmal die Stirn zu bieten.

 

Kapitel 2

Am späten Montagnachmittag saß Kate an ihrem Schreibtisch und durchforstete – wie jeden Tag in den letzten Wochen – das Internet nach einem Job. So sehr sie ihre Selbstständigkeit liebte – Brian war inzwischen fast zehn Jahre alt und brauchte sie nicht länger rund um die Uhr, die freie Zeiteinteilung war also nicht mehr so wichtig. Was aber vor allem den Ausschlag gegeben hatte, sich nach einer festen Anstellung umzusehen, war der starke Rückgang ihrer Einkünfte. Viele Leute besaßen mittlerweile einen PC und erledigten ihre Steuererklärung selbst. An Firmen oder größere Geschäfte heranzukommen, war schwierig, die meisten hatten fest angestellte Buchhalter und arbeiteten seit Jahren mit den gleichen Steuerbüros zusammen, oder erwarteten eine längere Berufserfahrung, als Kate sie besaß.

Ihr Kontostand war inzwischen beunruhigend niedrig. Abgesehen von den laufenden Kosten hatte Brian bald Geburtstag, eine Klassenfahrt war geplant und ihre Waschmaschine gab seltsame Geräusche von sich, die auf ein bevorstehendes Ableben hindeuteten. Zudem war da Connor, der sie schon seit Wochen mit ihrer finanziellen Lage unter Druck setzte. Sie zweifelte nicht daran, dass er seine Drohung wahrmachen und das alleinige Sorgerecht beantragen würde, wenn sie nicht bald eine Lösung fand. Daher blieb ihr gar keine andere Wahl, als sich nach einer festen Anstellung umzusehen.

Aufmerksam scrollte Kate durch die Webseite einer Jobbörse und studierte die Anzeigen, um wieder einmal frustriert festzustellen, dass es keinen Job gab, der für sie infrage kam. Entweder war die Bezahlung so schlecht, dass sich ihre Lage kaum verbessern würde, oder es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich um unseriöse Angebote handelte.

Eine Kartoffelfabrik in Terreton bot einen Job am Fließband an, und da sie es sich nicht erlauben konnte, wählerisch zu sein, griff sie zu ihrem Handy und tippte die angegebene Rufnummer ein.

Im selben Augenblick klingelte es. Kate legte das Telefon beiseite, ging zur Tür und sah Lynn vor sich stehen.

»Was machst du denn hier?«, fragte sie überrascht.

»Ich kann gerne wieder verschwinden, wenn du mich nicht sehen willst.«

»Quatsch.« Mit einer Handbewegung forderte Kate ihre Schwester auf, hereinzukommen. »Kaffee?«

»Ja, gerne.« Lynn ließ sich auf einen der Stühle am Esstisch plumpsen. »Es gibt einen wichtigen Grund, weshalb ich hier bin.«

»Und der wäre?«, fragte Kate, während sie die Kanne von der Warmhalteplatte nahm und zwei Becher mit Kaffee füllte.

»Ich habe einen Job für dich.«

Amüsiert stellte Kate die Kaffeebecher auf den Tisch. »Bist du jetzt mein Zuhälter?«

Lynn grinste. »Du bringst mich da auf eine Idee …«

»Na, vielen Dank auch.«

»Nein, im Ernst, ich hätte da einen heißen Tipp. Bei Farley’s Outdoor Fun in Idaho Falls suchen sie jemanden für die Buchhaltung.«

»Woher weißt du das?«

»Von Curtis Farley selbst, er war heute mal wieder zum Check-up da, und wir haben ein bisschen geplaudert. Er erzählte mir, dass seine Frau sich bisher um die Buchführung gekümmert hat, doch die beiden sind kürzlich zum ersten Mal Großeltern geworden und wollen sich mehr auf die Familie konzentrieren. Ich sagte ihm, dass du dich mit diesen Dingen auskennst und bestimmt interessiert wärst, und er meinte, du sollst unbedingt anrufen. Und du könntest sogar vorwiegend von zu Hause aus arbeiten – vielleicht wäre das ja was.«

»Klingt viel zu schön um wahr zu sein.« Kate seufzte. »Farley’s ist ein großer Laden, die werden sicher jemanden mit mehr Qualifikationen suchen.«

»Das kannst du doch gar nicht wissen. Am besten rufst du gleich an und erkundigst dich, sie haben bis zehn Uhr geöffnet.«

»Du hast recht.«

Kate ging hinüber zu ihrem Schreibtisch, suchte im Internet die Nummer des Outdoorladens heraus, gab sie in ihr Handy ein und tippte auf das grüne Rufsignal.

Wenig später meldete sich eine freundlich klingende Männerstimme. »Farley’s Outdoor Fun, Curtis Farley am Apparat, was kann ich für Sie tun?«

»Hallo, mein Name ist Kate Wilson, ich bin die Schwester von Lynn Hartley. Sie sagte mir, dass Sie jemanden für die Buchhaltung suchen und ich wollte mich nach den Einzelheiten erkundigen. Ist die Stelle denn noch zu haben?«

»Aber sicher«, kam es gutgelaunt zurück. »Sie sind die erste Interessentin, ich habe den Job nämlich noch gar nicht annonciert. Nachdem Ihre Schwester von Ihnen erzählt hat, hatte ich gehofft, dass Sie sich melden, und ich würde mich freuen, wenn wir handelseinig werden.« Curtis Farley lachte vergnügt und fügte hinzu: »Wissen Sie, dann kann ich mir die Stellenanzeige nämlich sparen.«

Kates Herzschlag beschleunigte sich, doch sie zwang sich, gelassen zu bleiben. »Welche Aufgaben genau beinhaltet denn die Tätigkeit bei Ihnen?«

»Nun, da wären die Finanzbuchhaltung, die Lohnbuchhaltung, und die Abwicklung sämtlicher Steuerangelegenheiten. Kennen Sie sich damit aus?«

»Vor einem halben Jahr habe ich mein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen und eine Zertifizierung als Steuerberaterin gemacht. Auf diesem Gebiet war ich in den letzten drei Jahren selbstständig tätig, und Buchhaltungskenntnisse besitze ich auch.«

»Das klingt doch schon mal gut.« Er legte eine kleine Pause ein, ehe er fragte: »Ihre Schwester sagte, Sie hätten ein Kind?«

»Einen Sohn, Brian. Er wird demnächst zehn.«

»Nun, dann wird es Sie sicher freuen, dass wir Ihnen anbieten, vorwiegend zu Hause zu arbeiten, mit der heutigen Technik ist das ja alles kein Problem.« Wieder ein fröhliches Lachen. »Außerdem müssten wir so nicht extra ein Büro für Sie einrichten. Es würde völlig ausreichen, wenn Sie ein- oder zweimal in der Woche vorbeikommen, um sich die Belege abzuholen, dann können wir auch alles Nötige bereden.«

Irgendwie gelang es Kate, das »Wow«, zu unterdrücken, welches ihr auf der Zunge lag, denn die wichtigste Frage war noch nicht geklärt.

»Und wie hoch würde das Gehalt sein?«

Curtis lachte wieder. »Natürlich, das hätte ich ja beinahe vergessen.« Er nannte eine Summe, die weit über dem lag, was Kate erwartet hatte. »Und wenn Sie Ihren Job gut machen, bin ich gerne bereit, das nach einer Weile zu erhöhen. Wie klingt das für Sie?«

»Nicht schlecht«, erwiderte sie und versuchte, sich ihre Begeisterung nicht zu sehr anmerken zu lassen. »Ich bin auf jeden Fall interessiert und würde Ihnen umgehend meine Referenzen zusenden.«

»Ach was. Papier ist geduldig, da gebe ich nicht viel drauf. Ich verlasse mich lieber auf meine Menschenkenntnis. Am besten treffen wir uns, dann lernen wir uns kennen und klären gleich alle Fragen.«

»Okay«, stimmte Kate zu, »ich kann selbstverständlich vorbeikommen. Wann wäre es Ihnen denn recht?«

»Lassen Sie mich mal sehen.« Im Hintergrund raschelte Papier. »Also heute ist es zu knapp, morgen habe ich Termine, danach … Hm – wie wäre es am Samstagabend?«

Samstagabend?, dachte Kate verwundert. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für ein Vorstellungsgespräch. »Ja, das wäre möglich«, erwiderte sie etwas zurückhaltend.

»Prima. Meine Frau und ich fahren am Donnerstag für ein verlängertes Wochenende nach Sun Valley, und Sie könnten uns beim Dinner Gesellschaft leisten.«

»Sun Valley? Also, wenn Sie im Urlaub sind, möchte ich Sie lieber nicht …«

»Ach was, Sie stören nicht. Wir haben oft Gäste, wenn wir dort sind, das ist überhaupt kein Problem.«

»Also schön, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht …«

»Gut, dann sehen wir Sie und Ihren Mann am Samstagabend um acht im Morgan Ridge Inn.«

»Mein Mann?«, stieß Kate entgeistert hervor.

Curtis Farley schien nichts von ihrer Verwirrung zu bemerken. »Ja, wir stellen nur verheiratete Personen ein«, erklärte er so gutgelaunt wie zuvor. »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Angestellte in einer festen Beziehung glücklicher und motivierter sind. Abgesehen davon sind auch kaum Probleme wegen irgendwelcher Liebeleien am Arbeitsplatz zu befürchten. Und da wir in unserem Betrieb grundsätzlich großen Wert auf eine familiäre Atmosphäre legen, möchten wir die jeweiligen Ehepartner auch gerne kennenlernen. Das ist für Sie doch sicher kein Problem, oder?«

»Nein, natürlich nicht.« Die Worte waren heraus, ehe sie darüber nachdenken konnte.

»Prima, dann steht unserem Gespräch ja nichts im Wege. Also, bis Samstag, ich freue mich.«

Ehe Kate noch etwas sagen konnte, hatte Curtis Farley das Telefonat beendet. Langsam ließ sie die Hand mit dem Smartphone sinken und starrte Lynn an, die sie gespannt beobachtet hatte.

»Was ist los?«, fragte sie neugierig.

»Ich soll am Samstagabend zum Dinner nach Sun Valley kommen, zusammen mit meinem Mann.«

»Mann? Welcher Mann?«

»Das frage ich mich auch.« Kate warf ihrer Schwester, die übertrieben unschuldig dreinschaute, einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du hast Mr. Farley gegenüber nicht zufällig behauptet, ich sei verheiratet, oder?«

»Naja, zumindest habe ich nichts von deiner Scheidung erwähnt, als er sagte, dass sie nur verheiratete Leute einstellen«, gab Lynn zu. »Und da ich ihm von Brian erzählt hatte, nahm er wohl an, dass du eine glückliche Ehefrau bist.«

»Du hättest ruhig die Wahrheit sagen können. Da ich keinen Ehemann habe, der mich zu diesem Essen begleiten wird, hat sich das mit dem Job sowieso erledigt.«

»Du könntest Connor mitnehmen.«

Abwehrend hob Kate die Hände. »Ganz sicher nicht. Abgesehen davon, dass ich überhaupt keine Lust habe, stundenlang seine Gegenwart zu ertragen, müsste ich ihm erklären, weshalb ich zu dem Dinner eingeladen bin, und das will ich nicht, er würde das nur wieder gegen mich verwenden.«

»Also gehst du nicht hin«, schlussfolgerte Lynn.

»Tja, sieht wohl so aus.«

»Aber du brauchst dringend Geld, und die Bedingungen sind toll, so etwas findest du so schnell nicht wieder.«

»Ich weiß, aber was soll ich machen? Kein Ehemann, kein Job.«

»Wir könnten einen Mann für dich finden.«

»Was?« Kate runzelte die Stirn. »Du meinst …«

»… jemanden als deinen dir angetrauten Göttergatten ausgeben, genau.«

»Das kann ich nicht machen, das ist Betrug.«

»Quatsch. Wenn du die Stelle bekommst, wirst du deine Arbeit erstklassig erledigen, es entsteht also niemandem ein Schaden. Und die Farleys werden es garantiert nicht herausfinden; falls sie noch einmal eine derartige Einladung aussprechen, kannst du ihnen irgendeine Ausrede auftischen.«

»Aber ich möchte diese Leute nicht anlügen, ich mag so etwas nicht.«

»Wie du willst.« Lynn zuckte mit den Schultern. »Aber denk nochmal in Ruhe drüber nach. Ich meine: Du hast die Wahl zwischen einer kleinen Schwindelei für einen tollen Job und ernsten finanziellen Schwierigkeiten – ganz abgesehen von dem Ärger mit Connor. Ich jedenfalls wüsste, was ich täte.«

Nach einer schlaflosen Nacht mit endlosen Grübeleien war Kate zu dem Entschluss gekommen, dass Lynn recht hatte.

Dieser Job war das Beste, was ihr passieren konnte, und den Farleys einen Ehegatten zu präsentieren, war die einzige Möglichkeit, ihn zu ergattern. Doch diese Stelle würde sie nicht ohne »Familienanschluss« bekommen, somit musste sie ihre Gewissensbisse beiseiteschieben und jemanden finden, der diese Scharade mit ihr durchzog.

Die Suche nach dem passenden Begleiter war allerdings gar nicht so einfach, wie sie im Verlauf etlicher Telefonate feststellte. Einige ihrer Bekannten und Freunde waren gar nicht zu erreichen, bei anderen meldete sich die Mailbox. Alle übrigen lehnten mit den unterschiedlichsten Begründungen ab; entweder befanden sie sich im Urlaub, hatten keine Zeit oder befürchteten Ärger mit der Partnerin.

Am Nachmittag gab Kate schließlich frustriert auf. Als Brian nach Hause kam, schob sie die Gedanken an ihre finanzielle Misere zunächst beiseite und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn.

»Wie war es in der Schule?«

Er warf seine Schultasche in die Ecke und kickte seine Schuhe von sich. »Wie immer.«

»Aha.« Sie musterte ihn kritisch. »Und deswegen hast du auch ›wie immer‹ einen blauen Fleck an der Stirn?«

Brian senkte den Blick. »Robin Millford hat die Kleinen geärgert, Pete hat ihm einen Tritt ans Schienbein verpasst, dann hat Robin ihn so doll geschubst, dass er hingefallen ist, und dann bin ich auf Robin losgegangen.«

»Also hast du dich geprügelt.«

»Ich musste doch Pete verteidigen, er ist schließlich mein bester Freund.«

»Das verstehe ich ja, aber wir hatten doch darüber gesprochen, dass Schläge und körperliche Gewalt nicht in Ordnung sind.« Kate seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass es Probleme mit Robin gab. »Ich nehme an, du hast eine Mitteilung für mich bekommen?«

Mit einem Brummen holte Brian seine Tasche und nahm ein kleines Notizheft heraus. »Mr. Greenville sagt, wenn das nochmal vorkommt, will er dich sprechen.«

»Ja, das dachte ich mir schon.« Kate setzte ihre Unterschrift unter den Text des Lehrers und Brian packte das Heft wieder weg. »Kann ich in mein Zimmer gehen?«

»Sicher.« Sie fuhr ihm liebevoll mit der Hand durchs Haar. »Und wenn Robin das nächste Mal die Kleinen ärgert, überlasst ihr das bitte einem Lehrer anstatt mit ihm Streit anzufangen, okay?«

»Okay.«

»Dann ab mit dir.«

Er trottete mit hängenden Schultern davon und sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Brian war kein bösartiges Kind, aber natürlich hatte ihre Trennung von Connor Spuren hinterlassen. Zwar sagte er nie etwas, doch sie war sicher, dass er den ständigen Ärger mitbekam, auch wenn sie immer versuchte, das alles von ihm fernzuhalten.

Ihre Gedanken kehrten wieder zu ihren Geldsorgen zurück, und sie überlegte, ob sie ihre Eltern anpumpen sollte. Wenigstens für die Klassenfahrt? Nein, entschied sie, das kam nicht infrage. Es würde wochenlang Vorwürfe hageln, ganz zu schweigen davon, dass ihre Mutter sofort Connor informieren würde. Lynn vielleicht? Aber ihre Schwester kam mit ihrem Gehalt als Arzthelferin auch gerade so über die Runden.

Während sie noch darüber nachdachte, klingelte ihr Handy. Ein Blick auf das Display zeigte ihr, dass es Angela war, die Mutter von Brians Freund Pete.

»Hallo Angie«, meldete sie sich.

»Hey Kate. – Weißt du schon, was in der Schule los war?«

Sie seufzte. »Ja, ich habe gerade die Mitteilung von Mr. Greenville unterschrieben.«

»Also ganz ehrlich, dieser Robin ist ein übler Störenfried. Gloria hat ihn einfach nicht im Griff, und unsere Jungs müssen das jedes Mal ausbaden. Ich wünschte, wir könnten irgendetwas dagegen unternehmen.«

»Und was? Ihn auf eine Sonderschule schicken?«

»Naja«, Angie kicherte, »nachdem er in der zweiten Klasse zwei Mal sitzengeblieben ist und die dritte nun auch schon das erste Mal wiederholt, wäre das vielleicht gar keine schlechte Idee.«

Kate lachte. »Lass das bloß nicht Gloria hören, sonst bohrt sie dir ihre spitzen Fingernägel in die Augen.«

»Autsch. Aber weshalb ich eigentlich anrufe – gehst du heute zum Frauenabend? Tom und ich wären nämlich bereit, auf Brian aufzupassen, wenn du einverstanden bist. Pete ist so geknickt wegen der Sache in der Schule, und ich dachte, die Jungs könnten ein bisschen spielen, das wird ihn wieder aufmuntern. Brian kann auch hier übernachten, wir werden dafür sorgen, dass die beiden rechtzeitig schlafen.«

Der Frauenabend. Vor lauter Gedanken um den Job und die Geldsorgen hätte sie den beinahe vergessen.

»Wenn es dir wirklich nichts ausmacht – Brian ist bestimmt einverstanden.«

»Sonst hätte ich es ja nicht vorgeschlagen. Schick ihn rüber, ich werde die beiden mit einer selbstgemachten Lasagne trösten.«

»Super. Ich revanchiere mich, versprochen.«

Die beiden Frauen verabschiedeten sich und Brian verließ kurz darauf freudestrahlend das Haus.

Kate schob ein paar tiefgefrorene Blätterteighäppchen in den Ofen, und packte unterdessen ihr Strickzeug ein. Als die Snacks fertig gebacken und abgekühlt waren, füllte sie sie in eine Tupperdose, steckte diese in die Tasche zu ihrer Handarbeit, schlüpfte in ihre Sneakers und machte sich auf den Weg zum Frauenabend.