Endlich – Die McDermotts Band 7

Ebook & Taschenbuch

Alles, was Dean McDermott in Stillwell sucht, ist eine Auszeit. Als er jedoch der schlagfertigen Yana Martinez begegnet, ist es mit der Ruhe vorbei, denn er verliebt sich Hals über Kopf in sie. Die alleinerziehende Mutter fühlt sich ebenfalls zu dem attraktiven Schauspieler hingezogen, bleibt aufgrund schlechter Erfahrungen jedoch zurückhaltend. Mit nicht ganz fairen Methoden gelingt es Dean schließlich, sie zu erobern – bis sich Yanas anfängliche Befürchtungen plötzlich bewahrheiten …

Kapitel 1

Es war das erste Wochenende im Juni, auf der Porter-Ranch fand das alljährliche, große Barbecue statt und wie immer waren jede Menge Freunde, Bekannte und Nachbarn der umliegenden Ranches erschienen. Gleichzeitig wurden die Hochzeiten von Grant und Kade McDermott nachgefeiert, und so waren die Gäste dieses Mal besonders zahlreich.

​​ Die Sonne brannte gnadenlos von einem wolkenlos blauen Himmel, sodass ein Großteil der Anwesenden Zuflucht unter dem riesigen Partyzelt und den Bäumen gesucht hatte. Auch die Countryband, die ihre Instrumente im Schatten des Hauses aufgebaut hatte, schwitzte gewaltig, was nicht nur an den heißen Rhythmen lag. Mehrere Paare drehten sich auf der Tanzfläche und trotzten den südtexanischen Sommertemperaturen, ebenso wie ein Pulk Kinder, die umher flitzten, und einige Männer, die den Grill bedienten und für Getränke sorgten.

Die Luft roch nach Gras und gebratenem Fleisch, die Stimmung war ausgelassen und heiter. Alle amüsierten sich prächtig. nur Yana Martinez stand ein wenig verloren an der improvisierten Bar und langweilte sich. Sie hatte die Einladung eigentlich gar nicht annehmen wollen, doch ihrem Großvater zuliebe war sie hergekommen, und bedauerte es bereits.

Als sie gerade überlegte, ob sie sich unter einem Vorwand verabschieden sollte, schlang sich plötzlich ein Arm um ihre Taille.

»Na Süße, Lust auf ein Tänzchen?«

»Nein, danke.«

»Ach komm schon, Schätzchen, ich …«

Bevor der Mann ausgesprochen hatte, flog eine Faust an Yanas Gesicht vorbei und landete krachend am Kinn ihres Gegenübers.

»Du wirst sofort deine schmierigen Griffel von ihr nehmen, hast du verstanden?«, brüllte Fred Carson mit hochrotem Kopf und packte den Cowboy am Hemd.

Dieser stieß Freddy weg, und Sekunden später wälzten die beiden sich prügelnd auf dem staubigen Boden, während die anderen Gäste im Halbkreis um sie herumstanden und sich das Spektakel ansahen.

»Grandpa, hör auf«, rief Yana hilflos und versuchte vergeblich, ihren Großvater wegzuziehen.

Grant McDermott, Deputy von Stillwell, trat auf die zwei Streithähne zu, und es dauerte nicht lange, bis er sie voneinander getrennt hatte.

»Wage es nie wieder, meine Enkeltochter anzufassen«, schrie Freddy seinem flüchtenden Gegner hinterher, »sonst breche ich dir sämtliche Knochen.«

»Du wirst dich jetzt beruhigen«, befahl Grant und hielt ihn fest umklammert, »oder möchtest du den restlichen Abend in einer unserer Zellen verbringen?«

»Er hat Yana angetatscht«, erklärte Freddy wütend.

»Das ist kein Grund, eine Prügelei zu beginnen und uns die Feier zu verderben«, mahnte Grant streng.

»Jaja, schon gut.« Unwirsch machte der Alte sich von ihm los. »Geh wieder zu deiner Familie Junge, es ist alles in Ordnung.«

»Gar nichts ist in Ordnung«, zischte Yana ihm vorwurfsvoll zu, nachdem Grant sich entfernt hatte. »Wie kommst du dazu, dich hier so aufzuführen?«

»Soll ich etwa tatenlos mit zusehen, wie dieser Kerl an dir rumfummelt?«

»Er wollte lediglich tanzen.«

»Ja, das habe ich gesehen, deswegen konnte er auch seine Hände nicht bei sich lassen.«

Resigniert schüttelte Yana den Kopf. »Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.«

Ohne eine Antwort ihres Großvaters abzuwarten, stapfte sie zu ihrer Tochter Mia, die ein Stück entfernt mit zwei weiteren Mädchen auf einer Decke saß und spielte.

»Komm Süße, wir fahren nach Hause.«

Unterdessen hatte Grant sich wieder an den langen Tisch gesetzt, an dem sich ein Großteil der Familie McDermott versammelt hatte, und natürlich wollten alle wissen, was passiert war.

»Freddy hat es offenbar nicht gefallen, dass der Cowboy seine Enkeltochter Yana angemacht hat«, erklärte Grant achselzuckend.

»Deswegen muss man doch nicht gleich so ausflippen«, sagte sein Cousin Adrian McDermott kopfschüttelnd.

Grant trank einen Schluck von seinem Bier. »Ja«, seufzte er dann, »man sollte wirklich meinen, dass er in seinem Alter etwas vernünftiger ist. Aber wenn es um Yana oder ihre Tochter Mia geht, ist mit ihm nicht zu spaßen.«

»Wenigstens hatten wir jetzt unseren obligatorischen Hochzeits-Zwischenfall«, stellte Rose Porter, das inoffizielle Familienoberhaupt, trocken fest.

Ihre Schwester Millie Campbell kicherte. »Allerdings, ich habe schon die ganze Zeit darauf gewartet.«

Roses Enkelin Joyce McDermott, die den beiden älteren Damen gegenübersaß, nickte. »Der Fluch der McDermotts hat wieder zugeschlagen. Und eine Prügelei hatten wir bisher noch nicht.«

»Stimmt«, bestätigte Adrians Frau Melody. »Wir hatten eine geplatzte Fruchtblase, ein ‚Nein‘ vor dem Friedensrichter, eine Trauung, die ins Krankenhaus verlegt wurde …«

»… eine Entführung nach Las Vegas«, ergänzte Lauren McDermott-Davis, »und nicht zu vergessen Scotts Ratte, die für eine Massenpanik gesorgt hat.«

»Obwohl das heute ja gar keine richtige Hochzeit ist«, gab Kerry McDermott zu bedenken. »Sowohl Grant und Charlie als auch Liz und Kade sind ja bereits verheiratet.«

»Ja, aber unter welchen Umständen?«, mischte Jane McDermott, die Mutter von Grant und Kade, sich ein. »Doch lassen wir das, ich bin froh, dass wir sie überzeugen konnten, zumindest die Feier noch einmal nachzuholen.«

»Und ich bin froh, dass Liz und Charlie sie überzeugen konnten, dieses Mal auf das übertriebene Brimborium zu verzichten«, raunte Kerry ihrer Schwägerin Lauren zu.

Diese grinste. »Wenn ich da nur an die Tauben denke …«

»… und an die Hektik, die Jane, Rose und Millie jedes Mal verbreiten«, flüsterte Melody amüsiert.

»Jedenfalls wird es in nächster Zeit wohl ziemlich langweilig werden«, sagte Rose missmutig. »Liz, Kade, Charlie und Grant treten ihre Flitterwochen an, Joyce und Callan fahren nach New York, und zum Verkuppeln haben wir auch niemanden mehr.«

»Da wäre noch Dean«, erinnerte Jane sie. »Ich hätte nichts dagegen, meinen dritten Sohn ebenfalls unter die Haube zu bringen.«

In diesem Moment kehrten Liz und Kade McDermott, die getanzt hatten, zum Tisch zurück.

»Was ist mit Dean?«, fragte Kade, der die letzten Worte seiner Mutter aufgeschnappt hatte.

Joyce verdrehte die Augen. »Na was wohl – das Trio infernale möchte ihn gerne mit einem Ring am Finger sehen.«

»Wenn er weiß, was gut für ihn ist, wird er schön in Hollywood bleiben«, brummte ihr Mann Callan, was ihm sofort einen Rippenstoß seiner Frau einbrachte.

»Abgesehen davon wird uns bestimmt nicht langweilig«, wandte Millie ein, »wir können uns jetzt endlich an die Renovierungsarbeiten im La Casa machen.«

Rose seufzte. »Ja, es wird langsam Zeit, dass wir uns darum kümmern.«

»Wärt ihr nicht so sehr mit euren Kuppeleien beschäftigt gewesen, hättet ihr das Frauenhaus längst eröffnet«, erklärte Joyce und warf ihrer Großmutter einen vielsagenden Blick zu.

»Jaja, schon gut«, erwiderte diese. »Aber alleine schaffen wir das sowieso nicht, wir bräuchten einen geschickten Handwerker.«

»Und einen günstigen«, ergänzte Millie. Sie schaute Lauren fragend an. »Wer hat dir denn bei der Renovierung der Cactus-Bar geholfen?«

»Das war Ryan, doch den kann ich euch leider nicht überlassen. Zum einen hat er genug mit der Pferdezucht zu tun, während Callan in New York ist, und zum anderen haben wir ja auch noch Scott bei uns, solange Grant und Charlie auf Kreuzfahrt sind.«

»Wenn es euch nicht recht ist …«, begann Charlotte, Lauren winkte jedoch sofort ab.

»Quatsch, natürlich ist es uns recht, sonst hätten wir es ja nicht angeboten.«

»Wie wäre es mit Freddy?«, schlug Grant vor.

»Freddy?«, wiederholte Rose stirnrunzelnd.

»Er ist handwerklich sehr begabt«, berichtete Grant. »Du solltest dir mal sein Haus ansehen, er hat fast alles selbst gemacht. Außerdem weiß er sowieso nicht, was er nach Feierabend treiben soll.«

»Ich dachte, er kümmert sich jetzt um seine Enkeltochter«, sagte Charlotte verwundert.

»Schon, aber das ist natürlich keine abendfüllende Beschäftigung.«

Millie kicherte. »Nun, nach dem, was wir vorhin gesehen haben, scheint der gute Freddy immerhin noch ziemlich temperamentvoll und rüstig zu sein. Vielleicht ist er ja tatsächlich die ideale Wahl für unsere Renovierungspläne.«

Fragend sah sie ihre Schwester an, woraufhin Rose einen raschen Blick zur Bar warf, wo Grants Kollege mit verdrossener Miene an seinem Whiskey nippte.

Sie zuckte mit den Achseln. »Warum nicht. Wir können ihn ja gleich mal fragen.«

Die beiden alten Damen erhoben sich und steuerten zielstrebig auf den weißhaarigen Mann zu.

Callan schaute ihnen hinterher und grinste. »Ich wette zehn Dollar, dass Freddy der Nächste ist, der dran glauben muss.«

Am Sonntagnachmittag, pünktlich um drei Uhr, klopfte es an die Tür des La Casa.

Millie, die zusammen mit Rose auf der hinteren Veranda saß, stand auf. »Ich gehe schon.«

Sekunden später kehrte sie zurück, gefolgt von Freddy, der seinen Stetson abnahm und Rose einen guten Tag wünschte.

»Setz dich doch«, forderte sie ihn auf. »Wie wäre es mit einem Eistee?«

»Gerne.«

Freddy ließ sich auf einem der hölzernen Gartenstühle nieder, währenddessen füllte Millie ein Glas mit dem kalten Getränk und stellte es vor ihn hin.

»Also Ladies«, fragte Freddy, nachdem er einen großen Schluck genommen hatte, »was kann ich für euch tun?«

»Eine ganze Menge«, erwiderte Millie.

»Die alten Tapeten müssen entfernt und die Wände gestrichen werden«, erklärte Rose. »Der Holzfußboden ist an einigen Stellen kaputt und die Fliesen in den beiden Bädern ebenfalls. Wir brauchen neue Sanitärobjekte, Badewanne, Waschbecken, Toilette und so weiter. Außerdem sind etliche der Möbel total ramponiert, die müssten wir entsorgen. – Am besten machen wir einen kurzen Rundgang und zeigen dir alles.«

Nach und nach inspizierten sie jeden Raum, Freddy sah sich um, notierte sich, was zu tun war und was an Material benötigt wurde. Schließlich gelangten sie ins Wohnzimmer und er grinste.

»Oh Mann, an dieses Zimmer kann ich mich noch sehr gut erinnern. Letztes Jahr an Halloween haben Grant und ich hier eine kleine Razzia veranstaltet, dabei trafen wir auf den Bürgermeister und einige seiner Freunde – allesamt in Unterhosen.«

Millie kicherte. »Das ist nicht wahr.«

»Wenn ich es sage. Die Herren saßen halb nackt herum, zusammen mit den ebenso leicht bekleideten Mädchen und haben sich augenscheinlich prächtig amüsiert – zumindest, bis wir auftauchten.« Freddy legte einen Finger auf die Lippen. »Aber pst … wir mussten ihm hoch und heilig schwören, dass niemand davon erfährt.«

»Das ist doch ein offenes Geheimnis hier in Stillwell, der ganze Ort weiß, was unser lieber Bürgermeister so treibt«, erwiderte Rose trocken.

Freddy grinste breit. »Sicher, nur seine Frau nicht.«

Sie kehrten in die Küche zurück und er studierte seine Liste. »Sieht nach viel Arbeit aus«, stellte er fest.

Rose seufzte. »Allerdings, und alleine schaffen wir es nicht. Denkst du, du bekommst das alles hin?«

»Ja, es sind ja nur gewöhnliche Renovierungsarbeiten, ein Ausbessern oder Verlegen von Stromleitungen oder Wasserrohren ist glücklicherweise nicht nötig. Ich könnte unter der Woche nach meinem Feierabend vorbeikommen, außer am Dienstag, da übernachtet Mia bei mir, Yana will sich nämlich bei der Theatergruppe bewerben. Am Wochenende hätte ich den ganzen Tag Zeit, es sei denn, ich habe Bereitschaft und es kommt ein Notruf herein.«

»Natürlich«, nickte Millie, »wir wollen dich auf keinen Fall von deiner Arbeit abhalten.«

»Und wir werden dich selbstverständlich angemessen bezahlen«, betonte Rose.

»Ach was«, winkte Freddy ab. »Schließlich ist es für einen guten Zweck, ich finde es prima von euch, dass ihr ein Frauenhaus aus dem alten Bordell machen wollt. Ich wäre mit einer Tasse Kaffee und hin und wieder einem Stück Kuchen zufrieden. Außerdem«, er zwinkerte ihr zu, »freue ich mich, wenn ich zwei netten Ladies ein wenig unter die Arme greifen kann.«

Sie plauderten noch eine Weile, danach verabschiedete Freddy sich mit dem Versprechen, am nächsten Tag nach seinem Feierabend vorbeizukommen.

»Ich bin froh, dass er uns helfen will«, sagte Rose, nachdem er gegangen war. »Er scheint sich gut mit all diesen Arbeiten auszukennen, und wir müssen keine Unsummen ausgeben, sondern können unsere Ersparnisse für die Frauen verwenden.«

Millie nickte. »Ja, da hast du recht. Außerdem«, sie kicherte, »finde ich den Gedanken, einen Mann im Haus zu haben, gar nicht so schlecht.«

Kapitel 2

Die neue Woche begann, und gleich am frühen Montagmorgen schreckte ein Ruf ihrer Tochter Yana Martinez aus ihren gewohnten Tagesvorbereitungen.

»Mommy, das Wasser ist schon wieder eiskalt.«

Sie legte das Messer, mit dem sie gerade Erdnussbutter auf mehrere Sandwiches gestrichen hatte, beiseite und ging ins Bad, wo die sechsjährige Mia vor dem Waschbecken stand. Prüfend hielt Yana die Hand unter den Hahn und stieß einen stummen Fluch aus. Seit knapp zwei Monaten wohnte sie in dieser heruntergekommen Bude, und der Heizkessel im Keller, der die Wohnungen mit Warmwasser versorgte, hatte bereits acht Mal den Geist aufgegeben. Weder ein freundlicher Brief noch die Androhung einer Mietkürzung hatten den Vermieter bisher dazu bewogen, das Gerät reparieren zu lassen.

»Na toll.« Genervt drückte sie Mia ihre Kinderzahnbürste und die Tube Berry Gel Zahnpasta in die Hand. »Dann putz dir wenigstens die Zähne. Wir duschen heute Abend bei Grandpa.«

Sie eilte in die Küche zurück, packte die Sandwiches mitsamt einem Apfel in eine Plastikdose und verstaute sie in Mias kleinem Rucksack.

Kurz darauf kam Mia aus dem Bad. Yana half ihr beim Anziehen, band ihr die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und gab ihr danach eines der Brote. »Iss schön, ich mache mich schnell fertig.«

Nach einer raschen Katzenwäsche schlüpfte sie in Jeans und ein Trägertop, und wenig später verließ sie gemeinsam mit Mia das Haus. Sie stiegen in den alten Pick-up, der, wie Yana immer scherzhaft sagte, nur noch vom Rost zusammengehalten wurde, und machten sich auf den Weg zum Kindergarten. Nachdem sie Mia dort abgesetzt hatte, fuhr Yana zur Porter-Ranch hinaus, wo sie seit vier Wochen arbeitete.

Nach ihrem Umzug von San Antonio nach Stillwell hatte ihr Großvater ihr die Stelle bei Callan McDermott besorgt. Sie half beim Ausmisten der Ställe, fütterte und pflegte die Pferde und durfte hin und wieder ein wenig reiten. Der Umgang mit den Tieren machte ihr Spaß, und auch mit den Cowboys verstand sie sich gut. Außer Callans Schwager Ryan McDermott-Davis waren noch drei weitere Männer auf der Ranch beschäftigt. Reece und Logan, die beide in Stillwell wohnten, sowie Ramon, ein Mexikaner, der unter der Woche in den Arbeiterunterkünften schlief und die Wochenenden bei seiner Familie in Monterrey verbrachte. Sie genoss die friedliche und kameradschaftliche Atmosphäre, und darüber hinaus verdiente sie obendrein zwei Dollar pro Stunde mehr, als sie vorher bei diversen Putzjobs bekommen hatte.

In ihrer Mittagspause nahm sie ihr Handy heraus und wählte die Nummer des Sheriff‘s Office in Stillwell.

»Ich bin es, Grandpa«, sagte sie, nachdem Freddy sich gemeldet hatte. »Ich wollte fragen, ob Mia und ich nachher bei dir duschen können. Der Heizkessel streikt mal wieder.«

Wie erwartet war ihr Großvater alles andere als begeistert.

»Wie lange willst du denn noch in diesem Rattenloch wohnen?«, fragte er vorwurfsvoll. »Bei mir im Haus ist wirklich genug Platz.«

»Bitte Grandpa, diese Diskussion hatten wir schon mehrmals und du kennst meine Meinung dazu.«

»Jaja«, er schnaubte, »ich weiß, du willst unabhängig sein, auf eigenen Füßen stehen, blablabla …«

»Genau, blablabla. Und jetzt lassen wir das Thema, meine Pause ist bald vorbei und ich möchte noch schnell etwas essen. Also, dürfen wir dein Bad benutzen?«

»Ich bin im La Casa zum Renovieren, aber du hast ja den Ersatzschlüssel. Und ich hole Mia morgen wie versprochen vom Kindergarten ab, damit du dich bei der Theatergruppe vorstellen kannst.«

»Danke, Grandpa, du bist der Beste – obwohl ich dir ja eigentlich immer noch böse sein müsste wegen der Szene auf dem Barbecue.«

»Ich wollte dich nur beschützen, ich mag es nun mal nicht, wenn dir irgendein Kerl zu nahe kommt.«

»Aber irgendwann werde ich vielleicht einen Mann kennenlernen und wir werden uns näherkommen – willst du dann auch so durchdrehen?«

»So lange es nicht wieder irgend so ein windiger Möchtegern-Schauspieler oder ein anderer Typ aus dem Showbusiness ist, habe ich kein Problem damit.«

Am gleichen Abend waren Grant und Charlotte vollauf mit ihren Reisevorbereitungen beschäftigt. Früh am nächsten Morgen sollte die Reise losgehen, zunächst nach Miami, wo sie einige Tage Aufenthalt eingeplant hatten. Am Freitag würden Liz und Kade zu ihnen stoßen, um am späten Nachmittag schließlich alle gemeinsam mit der Queen of the Seas in Richtung Karibik auslaufen. Im Anschluss daran wollten sie noch dreieinhalb Wochen auf den Florida Keys verbringen, um sich – wie Grant erklärte – von dem Stress der Kreuzfahrt zu erholen.

»Bist du sicher, dass dir das nicht zu anstrengend wird?«, fragte er zum wiederholten Male, als sie am Abend im Schlafzimmer standen und die letzten Sachen in die beiden großen Koffer räumten.

»Es sind über zwei Monate bis zum Entbindungstermin und der Arzt sagt, dass ich okay bin und nichts gegen eine Reise spricht.«

»Trotzdem«, murrte Grant, »ich mache mir Sorgen.«

Charlotte drehte sich zu ihm um und stemmte die Hände in die Hüften. »Und wenn du noch so viel nörgelst, Deputy – wir werden auf diese Kreuzfahrt gehen. Ich weiß, dass du keine Lust darauf hast, aber zum einen hat Kade uns eingeladen, und zum anderen hatten wir bisher schließlich keine Hochzeitsreise.«

Mit einem entschuldigenden Lächeln trat Grant zu ihr und zog sie in seine Arme. »Mit dir ist jeder Tag wie Flitterwochen«, murmelte er und beugte sich zu ihr, um sie zu küssen.

Im gleichen Augenblick klopfte es an die Haustür.

»Ich mache auf«, rief Scott aus seinem Zimmer und polterte auch schon die Treppe hinunter.

»Onkel Dean«, hörten sie ihn Sekunden später freudig rufen.

Grant seufzte. »Vielleicht ist es doch keine so schlechte Idee, wegzufahren. Auf dem Schiff sind wir wenigstens mal ungestört – hoffe ich zumindest.«

Gemeinsam gingen sie nach unten und fanden dort Grants jüngeren Bruder, der sich im Flur einen scherzhaften Ringkampf mit seinem Neffen lieferte.

»Warum hast du denn nicht Bescheid gesagt, dass du kommst?«, fragte Grant vorwurfsvoll, nachdem sie sich alle begrüßt hatten. »Ich hätte dich vom Flughafen abgeholt.«

»Kein Problem, ich habe mir einen Mietwagen genommen. Außerdem war dieser Trip eine ziemlich kurzfristige Entscheidung.«

»Und was machst du hier?«, wollte Grant wissen.

»Mir eine kleine Auszeit nehmen«, erklärte Dean, »und mein Agent möchte, dass ich mir ein paar neue Drehbücher anschaue. Da ich ja Charlies Haus gekauft habe, dachte ich, das wäre genau der richtige Ort dafür.«

»Heißt das, du bleibst hier?«, fragte Scott, und die Begeisterung war ihm deutlich anzusehen.

»Zumindest für eine Weile, ja.«

»Cool. Dann müssen wir auf jeden Fall mal ausreiten, und ein Lagerfeuer am See machen, und wir können in den Bergen zelten, und …«

Lachend hob Dean die Arme. »Nur langsam, Cowboy. Wir werden bestimmt etwas gemeinsam unternehmen, aber erst mal brauche ich ein paar Tage Verschnaufpause.«

»Du hast dir einen schlechten Zeitpunkt für deinen Besuch ausgesucht«, erklärte Grant. »Charlie und ich gehen morgen auf Hochzeitsreise, zusammen mit Liz und Kade.«

»Das macht nichts, ehrlich gesagt bin ich froh, wenn ich meine Ruhe habe.«

Grant schnaubte. »Danke, sehr nett von dir.«

»Damit meinte ich eigentlich auch weniger euch als viel mehr zwei gewisse ältere Damen, deren größtes Hobby es ist, sämtliche alleinstehenden Familienmitglieder zu verkuppeln. Allein der Gedanke, dass sie mir wieder diverse ledige Frauen auf den Hals hetzen, so wie damals auf eurer Hochzeitsfeier …« Dean schüttelte sich und Charlotte lachte.

»Keine Sorge, Rose und Millie haben derzeit alle Hände voll mit der Renovierung des La Casa zu tun. Ich glaube kaum, dass sie Zeit für irgendetwas anderes finden werden.«

»Trotzdem, bitte sagt niemandem, dass ich hier bin. Ich habe weder Lust, aufdringliche Verehrerinnen abzuwimmeln, noch mich vor irgendwelchen hysterischen Fans oder sensationslustigen Paparazzi zu verstecken. Und auch kein Wort zu unseren Eltern, sonst rückt Mom umgehend hier an.«

Charlotte und Grant versicherten ihm, Stillschweigen zu bewahren, und Scott gelobte ebenfalls feierlich, nichts zu verraten.

Nachdem sie noch eine Weile miteinander geplaudert hatten, verabschiedete Dean sich, nicht ohne seinerseits Scott versprochen zu haben, dass sie auf jeden Fall etwas zusammen unternehmen würden.

»Ich weiß nicht«, sagte Charlotte nachdenklich, als sich die Haustür hinter ihm geschlossen hatte, »irgendwie sieht er ziemlich fertig aus.«

»Ja, das ist mir auch aufgefallen.« Ein hoffnungsvoller Ausdruck stahl sich in Grants Augen. »Soll ich Kade anrufen und die Reise absagen?«

»Vergiss es.« Sie gab ihm einen spielerischen Klaps auf den Po. »Ab nach oben, Deputy, weiterpacken.« Als er das Gesicht verzog, fügte sie schmunzelnd hinzu: »Und denk an deine Handschellen, vielleicht brauchst du sie ja.«

Sofort wich Grants enttäuschte Miene einem freudigen Lächeln. »Ja«, er zwinkerte ihr vielsagend zu, »vielleicht.«

Als Dean Stillwell erreichte, knurrte sein Magen vernehmlich und machte ihn darauf aufmerksam, dass er seit dem frühen Mittag nichts mehr gegessen hatte. Kurz entschlossen bog er auf die Mainstreet ab.

Wie bei seinem letzten Besuch stellte er mit einem Lächeln fest, dass sich in dem etwa eine Stunde südlich von San Antonio gelegenen kleinen Ort nichts verändert hatte. Er war zehn gewesen, als seine Eltern das Stillwell Inn verkauft hatten und nach Houston gezogen waren, um dort ein heruntergekommenes Hotel zu übernehmen und zu sanieren. Dennoch erinnerte er sich deutlich an die diversen Geschäfte mit den hölzernen Veranden und den Anbindebalken für die Pferde, die dem Ort das Flair einer alten Westernstadt verliehen.

​​ In der Nähe der Cactus-Bar steuerte er den Wagen in eine freie Parklücke. Er griff nach der Basecap, die auf dem Beifahrersitz lag, setzte sie auf und zog sie tief in die Stirn. Nachdem er seine Tarnung mit einer verspiegelten Sonnenbrille komplettiert hatte, warf er einen prüfenden Blick in den Innenspiegel und nickte zufrieden – so würde ihn hoffentlich niemand erkennen.

Als er jedoch die Vielzahl der Autos vor der Bar bemerkte, die darauf schließen ließen, dass drinnen Hochbetrieb war, beschloss er, lieber nicht den Vordereingang zu benutzen. Er umrundete das Gebäude, bis er an die Hintertür kam, die glücklicherweise unverschlossen war. Zu seiner Freude lag direkt dahinter die Küche, und der Geruch, der ihm entgegenschlug, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Am Herd, mit dem Rücken zu ihm, stand seine Cousine Lauren. Sie rührte eifrig in den Töpfen, ohne ihn wahrzunehmen, und so räusperte er sich, um sich bemerkbar zu machen.

Erschrocken fuhr sie herum und starrte ihn an. »Was haben Sie hier zu suchen?«, fragte sie barsch. Sekunden später weiteten sich jedoch ihre Augen. »Dean«, stieß sie hervor und fiel ihm um den Hals. »Meine Güte, ist dir eigentlich klar, dass ich beinahe einen Herzinfarkt bekommen hätte? Was tust du hier? Und wieso schleichst du durch die Hintertür wie ein Strauchdieb?«

»Kurzversion: Ich nehme mir eine kleine Auszeit, habe tierischen Hunger und wollte sicher sein, dass mich niemand erkennt.«

»Na wenn das so ist«, Lauren schmunzelte, »werde ich mal nachschauen, ob ich etwas Angemessenes für einen berühmten Filmstar da habe.«

»Ein Steak würde mir schon reichen.«

»Ich denke, das lässt sich einrichten.«

Dean ließ sich auf dem Stuhl nieder, der neben einem Arbeitstisch stand, streckte die langen Beine von sich und sah Lauren zu, die emsig herumwuselte.

»Wie geht es dir?«, wollte sie wissen, während sie ein großes T-Bone-Steak aus dem Kühlschrank nahm, es würzte und in eine Pfanne mit heißem Fett legte.

»Soweit ganz okay, würde ich sagen.«

»Das hört sich ja nicht sehr begeistert …«

Im gleichen Moment öffnete sich die Tür zum Gastraum und Ryan kam herein.

»So, Timmy ist im Bett und …« Er brach ab. »Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd. Dean? Bist du es wirklich?«

»Live und in Farbe.«

Die beiden Männer begrüßten sich mit Handschlag und freundschaftlichem Schulterklopfen.

»Was treibt dich nach Stillwell?«, wollte Ryan dann wissen. »Keine Lust mehr auf Reichtum, Ruhm und tolle Frauen?«

»Geld habe ich genug, Ansehen hat mich nie interessiert, und was die Frauen anbelangt …«, Dean verzog das Gesicht, »… lassen wir das Thema lieber.«

»Rose und Millie werden da ganz schnell Abhilfe schaffen, verlass dich drauf«, rief Lauren ihm vom Herd aus zu.

»Um Himmels willen, bloß nicht. Ich brauche Erholung, also kein Wort zu den beiden, dass ich hier bin.«

Ryan grinste. »Unsere Lippen sind versiegelt«, gelobte er.

»Und dein Steak ist auch fertig.« Lauren nahm einen Teller, legte das Fleisch darauf und gab eine große Portion Potato Wedges dazu. Zusammen mit einem Schälchen Salat stellte sie das Essen vor Dean auf den Tisch und reichte ihm Besteck. »Lass es dir schmecken.«

»Danke.«

Hungrig machte er sich über die Mahlzeit her und unterhielt sich nebenbei mit Ryan und Lauren.

»Ah«, seufzte er zufrieden, als er alles verputzt hatte, »das war köstlich. – Was bin ich dir schuldig?«

»Nichts«, winkte Lauren ab, »schließlich gehörst du zur Familie.«

»Unsinn, ich bezahle das natürlich …«

»Vergiss es«, Ryan klopfte ihm auf den Rücken, »du bist hier jederzeit willkommen. Außerdem wird es bestimmt mal eine Gelegenheit geben, bei der du dich revanchieren kannst.«

»Das hoffe ich.«

Sie verabschiedeten sich voneinander, und kurz darauf saß Dean wieder in seinem Wagen.

Es dauerte nicht lange, bis er Charlottes ehemaliges Wohnhaus erreichte. Er parkte den SUV in der Einfahrt und nahm eine kleine Reisetasche aus dem Kofferraum. Seine restlichen Sachen würde er morgen hineinbringen, zum Auspacken hatte er heute keine Lust mehr.

Nachdem er die Tür aufgeschlossen und das Licht eingeschaltet hatte, stellte er seine Tasche ab und sah sich um. Als er das Haus gekauft hatte, hatte er auf eine Besichtigung verzichtet. Er hatte Charlotte vertraut, die ihm versichert hatte, dass alles in Ordnung sei, und offenbar war es das auch. Das geräumige Wohnzimmer und die angrenzende, offene Küche waren voll möbliert und bis auf eine kleine Staubschicht sauber und ordentlich. Die geblümten Tapeten und Spitzengardinen entsprachen zwar nicht unbedingt seinem Geschmack, aber das konnte er irgendwann ändern lassen. Hauptsache, er hatte erst einmal einen ruhigen Zufluchtsort.

Er stieg die Treppe hinauf und betrat das Schlafzimmer. Außer einem rustikalen Kleiderschrank und einer dazu passenden Frisierkommode mit Spiegelaufsatz gab es ein großes Doppelbett mit einem verschnörkelten Messinggestell, das von zwei Nachttischen flankiert wurde. Als er die bunt gemusterte Tagesdecke beiseitezog, stellte er erfreut fest, dass sogar Bettzeug vorhanden war, und im Schrank fand er Bettwäsche und Laken. Nachdem er Matratze, Kopfkissen und Decke bezogen hatte, öffnete er das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, ging noch kurz ins Bad und fiel wenig später todmüde ins Bett. Er rollte sich zusammen, stopfte sich ein Kissen unter den Kopf und schloss die Augen.

Endlich Ruhe, dachte er, bevor er in den Schlaf hinüberglitt, endlich.

Kapitel 3

Glücklicherweise funktionierte der Heizkessel am Dienstagnachmittag wieder, und so verließ Yana gegen Viertel vor acht nach einer ausgiebigen Dusche das Haus. Mit ihrem Fahrrad, das sie für kurze Strecken immer benutzte, wenn sie Mia nicht dabeihatte, fuhr sie zum Stadtpark. Dort lag der Gemeindesaal, wo die Proben der örtlichen Theatergruppe stattfanden.

Als sie nach ihrem Umzug irgendwann erfahren hatte, dass es in Stillwell eine Laienschauspielgruppe gab, war sie begeistert gewesen. Vor einer Weile hatte man beschlossen, das übliche Theaterstück von der Gründung Stillwells, das jedes Jahr am Gründungsfest aufgeführt wurde, durch eine romantische Adaption von ‚Bonnie und Clyde‘ abzulösen. Heute fand die Vergabe der Rollen statt und entsprechend aufgeregt war Yana, als sie das Gemeindehaus betrat. Die Flügeltüren zum Saal standen offen und drinnen hatten sich schon etliche Leute versammelt.

Nachdem sie sich einen Moment umgesehen hatte, trat sie auf eine Frau Mitte vierzig zu, die offenbar das Sagen hatte.

»Hallo, ich bin Yana Martinez und wollte für eine Rolle vorsprechen.«

Die Angesprochene drehte sich zu ihr um, musterte sie kurz und lächelte. »Victoria Ames, ich bin die Ehefrau des Bürgermeisters und leite die Theatergruppe. Komm, ich stelle dich den anderen vor.«

Gemeinsam gingen sie hinüber zu der kleinen Gruppe, die aus Männern und Frauen unterschiedlichsten Alters bestand und Victoria machte sie mit allen bekannt. »Ich nehme an, du würdest auch am liebsten den Part der Bonnie übernehmen.«

»Ja, sehr gerne.«

»Das dachte ich mir.« Victoria deutete auf einen Stapel mit Mappen, der auf einem Stuhl lag. »Dann nimm dir ein Skript und schau dir die erste Szene an. Ich werde die Kandidaten nachher anhören und anschließend entscheiden.«

Yana nickte, schnappte sich ein Exemplar und zog sich in eine ruhige Ecke zurück, um sich ihren Text anzusehen. Das Stück begann mit dem Kennenlernen des Gaunerpärchens, und sie versuchte, sich in die Rolle der Bonnie hineinzuversetzen, die dem Charme des kriminellen Clyde erlag.

Nachdem sie die Passage ein paar Mal durchgegangen war, richtete Yana ihre Aufmerksamkeit auf die kleine Bühne, wo die anderen Bewerber jetzt mit ihren Darbietungen anfingen. Zuerst wurde ein Darsteller für Clyde gesucht, und es dauerte nicht lange, bis Victoria einen pickeligen, jungen Mann namens Mason auserkoren hatte. Zusammen mit ihm spielten anschließend die weiblichen Kandidaten die erste Szene durch. Fast alle ratterten ihren Text ohne großen Enthusiasmus herunter, lediglich eine etwa zwanzigjährige, blonde Frau, die Victoria ihr als Colleen vorgestellt hatte, hauchte ihm durch Gestik und Mimik Leben ein. Sie machte ihre Sache gut, was die übrigen Gruppenmitglieder mit Applaus quittierten, und Yana hoffte, dass sie trotzdem eine Chance haben würde.

Schließlich war sie an der Reihe. Sie erklomm die Bühne, wartete, bis ihr Stichwort kam und legte los. Als sie fertig war, herrschte einen Moment lang vollkommene Stille im Saal, dann klatschten sämtliche Anwesenden.

»Das war prima«, lobte Victoria, nachdem Yana sich wieder zur Gruppe gesellt hatte. »Allerdings habe ich nun ein großes Problem, denn ich muss mich zwischen dir und Colleen entscheiden, was mir äußerst schwerfällt.«

»Bonnie war aber nicht schwarzhaarig«, wandte die Blondine sofort ein und musterte Yana abfällig.

»Das Aussehen ist völlig egal, es geht um die schauspielerische Leistung«, erklärte die Frau des Bürgermeisters und überlegte einen Augenblick. »Okay«, sagte sie dann, »ich habe eine Idee. Da wir ja sowieso eine Zweitbesetzung brauchen, werdet ihr beide den Part der Bonnie einstudieren und üben, und ich treffe meine Auswahl später. So habt ihr alle zwei die gleiche Chance, zu zeigen, was ihr könnt, ich denke, das ist fair.«

Yana nickte, doch Colleen war mit diesem Vorschlag offenbar nicht einverstanden. Sie kniff die Augen zusammen und warf ihrer Konkurrentin einen giftigen Blick zu. Als Victoria die Probe für beendet erklärte und die Gruppe nach und nach den Gemeindesaal verließ, trat sie an Yana heran.

»Mach dir bloß keine Hoffnungen, Nacho«, zischte sie ihr zu, »du wirst die Rolle ganz bestimmt nicht kriegen.«

Einen Moment lang starrte Yana die Blonde verblüfft an und überlegte, ob sie ihr eine passende Antwort geben sollte. Dann beschloss sie jedoch, sich nicht auf dieses Niveau zu begeben, drehte sich um und ließ Colleen einfach stehen.

In den darauffolgenden Tagen verbrachte Yana jede freie Minute damit, ihren Text zu lernen. Abgesehen davon, dass sie den Part der Bonnie wirklich gern spielen wollte, hatte Colleens gehässige Bemerkung ihren Ehrgeiz noch zusätzlich angestachelt und sie war entschlossen, die Rolle zu bekommen.

Unterdessen wurde im La Casa fleißig gewerkelt und schnell hatte sich ein fester Ablauf eingespielt. Wenn Freddy nach seinem Feierabend um kurz nach fünf erschien, trank er einen Becher Kaffee und aß ein Stück des selbst gebackenen Kuchens, den Rose und Millie ihm anboten, dabei blätterte er meistens durch die Tageszeitung. Anschließend stürzte er sich bis zum späten Abend in die Arbeit, lediglich unterbrochen von kleinen Pausen, in denen die beiden alten Damen ihn mit Eistee versorgten. Natürlich ließen sie ihn auch nicht nach Hause gehen, ohne ihm noch ein reichhaltiges Abendessen zu servieren, und er genoss es sichtlich, sich von den Ladies, wie er sie immer höflich nannte, umsorgen zu lassen.

So vergingen die ersten eineinhalb Wochen wie im Flug und die Renovierung schritt gut voran, doch am Donnerstagnachmittag klagte Rose plötzlich über Kopfschmerzen.

»Mein Hals ist auch ganz kratzig«, erklärte sie, »vermutlich bekomme ich eine Grippe. Ich sollte mich wohl lieber hinlegen.«

»Und das ausgerechnet heute, wo wir zur Riverdance-Show wollen«, seufzte Millie enttäuscht.

»Es tut mir leid, aber ich fühle mich wirklich nicht gut.« Rose legte eine kurze Pause ein, dann fügte sie hinzu: »Eventuell kann Freddy dich ja begleiten.«

Dieser runzelte die Stirn. »Eine Grippe? Jetzt im Juni? Es sind fast dreißig Grad draußen.«

»Das ist gar nicht so ungewöhnlich, viele Leute bekommen eine Sommergrippe«, betonte Rose mit krächzender Stimme.

»Ich mache dir einen Tee«, bot Millie an und sprang auf, »vielleicht geht es dir nachher ja besser.«

»Das glaube ich kaum, ich habe so einen Druck auf dem Kopf, da hilft wohl nur Bettruhe.« Rose wandte sich wieder Freddy zu. »Wie gesagt, falls es dir nichts ausmacht, könntest du meine Schwester ja begleiten – es wäre schade, wenn die Karten verfallen.«

Er schwieg einen Moment, dann nickte er. »Ja, das wäre wirklich schade. Wann fängt die Show denn an?«

»Die Vorstellung beginnt um acht«, erklärte Millie, »und findet im Majestic Theatre in San Antonio statt, wir sollten so um halb sieben losfahren.«

»Also werde ich wohl mal nach Hause gehen und mich fertigmachen.«

Freddy erhob sich, ging zur Tür, versprach Millie, sie pünktlich abzuholen, und verabschiedete sich.

Eine knappe Stunde später war er zurück. Seine verwaschene Jeans und das fleckige T-Shirt hatte er gegen einen dunkelblauen Anzug getauscht. Dazu trug er elegante Lederslipper und ein blütenweißes Hemd, das die Bräune seiner wettergegerbten Haut betonte.

Millie kam die Treppe herunter, ebenfalls herausgeputzt mit einem schwarz-weiß gemusterten Kleid, und Freddy deutete eine Verbeugung an. »Hübsch siehst du aus.«

Sie kicherte. »Alter Charmeur.«

Er bot ihr seinen Arm, führte sie zur Tür und drehte sich dort noch einmal zu Rose herum. »Gute Besserung«, wünschte er ihr.

»Ja«, murmelte sie und wich seinem durchdringenden Blick aus, »danke – und viel Spaß.«

Seine blauen Augen funkelten. »Den werden wir haben, ganz bestimmt.«

Am nächsten Morgen hatte Rose alle Mühe, ihre Neugier zu bezähmen.

»Und, wie war es denn gestern?«, fragte sie scheinbar beiläufig, als sie mit Millie beim Frühstück saß.

Ihre Schwester gab einen seligen Seufzer von sich. »Toll.«

»Du bist spät nach Hause gekommen«, hakte Rose nach.

»Wir waren nach dem Konzert noch etwas trinken, und haben uns lange unterhalten, es war ein wundervoller Abend«, berichtete Millie begeistert.

»Na, das hört sich ja an, als hättet ihr ein paar nette Stunden gehabt.«

»Ja«, schwärmte Millie weiter, »Freddy ist sehr höflich und zuvorkommend gewesen, ein echter Gentleman. Und er ist so belesen, es gibt kaum ein Thema, über das er nicht Bescheid weiß.«

Rose lächelte. »Wenn das so ist, solltet ihr das vielleicht bei Gelegenheit mal wiederholen.«

»Das haben wir auch vor«, berichtete Millie und strahlte dabei über das ganze Gesicht, »wir gehen heute zum Tanzabend.«

»Oh«, entfuhr es Rose überrascht, »heute Abend?«

»Ja, wir treffen uns um sieben Uhr in der Cactus-Bar«, nickte Millie. »Schade, dass du krank bist, sonst könntest du ja mitkommen.«

Rose räusperte sich. »Naja, es geht mir schon wieder viel besser.«

»Ach, das ging aber schnell.«

»Vermutlich eine Eintagesgrippe – du weißt ja, wie das ist.«

»Ja«, Millie schmunzelte in sich hinein, »das weiß ich.«

***

Am Abend spazierten Rose und Millie zur Cactus-Bar, wo wie immer reger Betrieb herrschte. Seit Lauren vor einiger Zeit den ehemals heruntergekommenen Saloon gekauft und daraus ein Restaurant gemacht hatte, gaben sich die Gäste die Klinke in die Hand. Freitags jedoch, am Tanzabend, war besonders viel los, und so drehten sich auch heute etliche Paare zu den Klängen einer kleinen Live-Band auf der Tanzfläche in der Mitte des Gastraums.

Freddy schien noch nicht da zu sein, dafür entdeckte Rose in einer der voll besetzten Nischen ihre Enkelin sowie einige andere Mitglieder der McDermott-Familie. Sie dirigierte Millie zwischen den Tanzenden hindurch zu dem Tisch, wo sie von Joyce, Callan, Ryan, Adrian und Melody fröhlich begrüßt wurden.

»Habt ihr schon gepackt?«, fragte Rose ihre Enkeltochter, nachdem sie sich gesetzt hatten.

»Nein«, Joyce schüttelte den Kopf, »das mache ich morgen früh, unser Flieger geht ja erst um kurz nach eins.«

Millie deutete auf das Babyfon in der Tischmitte. »Die Kinder sind oben?«

»Ja«, nickte Adrian, »Timmy und Scott passen auf.«

»Sessy«, krähte es in diesem Moment wie auf Bestellung aus dem Gerät.

»Das ist Daniel«, stellte Joyce fest.

Rose schmunzelte. »Hört sich an, als würde er nach seinem Daddy rufen.«

»Nein, er meint Joyce«, erklärte Callan mit breitem Grinsen.

»Sessy«, ertönte es wieder, dieses Mal etwas vehementer.

»Das klingt aber nicht wie ‚Mommy‘«, wunderte Melody sich. »Was bedeutet das denn?«

Joyce seufzte. »Frag Callan. Er bringt ihm lauter Unsinn bei.«

»Das ist gar nicht wahr«, protestierte dieser. »Nur Dinge, die wichtig sind: Cowboy, Pferd, reiten …«

»… und Frauen, und Whiskey, und Bier«, ergänzte Joyce trocken. »Und dann hatte er irgendwann Daniel auf dem Arm, deutete auf mich und sagte ‚deine Mom ist ganz schön sexy‘ – den Rest könnt ihr euch ja denken.«

»Sessy«, quäkte es wie aufs Stichwort wieder aus dem Babyfon, während alle am Tisch in lautes Gelächter ausbrachen.

Vorwurfsvoll stieß Joyce ihrem Mann den Ellenbogen in die Rippen. »Vielen Dank, McDermott.«

»Jetzt komm schon, Sprosse«, er zwinkerte ihr zu, »andere Frauen würden das als Kompliment nehmen.«

Joyce schnaubte. »Andere Frauen würden dich dafür in der Scheune schlafen lassen. Vielleicht sollte ich ihm ein neues Wort beibringen, zum Beispiel ‚Liebesentzug‘.«

»Ich wette zehn Dollar, dass du es nicht schaffst«, grinste Callan sie an, und sie verdrehte die Augen.

»Ich hoffe, unser nächstes Kind wird ein Mädchen. Daniel kommt jetzt schon viel zu sehr nach seinem Vater und mehr von dieser Sorte würde ich garantiert nicht ertragen.«

»Bist du etwa schwanger?«, fragte Rose erfreut.

»Noch nicht, aber …«, Callan zog Joyce an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, »… wir arbeiten fleißig daran.«

In diesem Augenblick erschien Freddy am Tisch. Nachdem er alle begrüßt hatte, schob er sich neben Adrian auf die Bank und schaute Rose, die ihm gegenübersaß, prüfend an.

»Es scheint dir wieder besser zu gehen«, stellte er fest.

Joyce hob die Augenbrauen. »Warst du krank?«

»Ach, nichts Wildes«, wehrte Rose ab, »nur eine harmlose Eintagesgrippe.«

»Völlig harmlos«, wiederholte Freddy mit blitzenden Augen, »na so ein Glück.«

Kapitel 4

Auch in der darauffolgenden Woche schleppte Yana stets eine Kopie des Skripts mit sich herum, selbst auf der Arbeit hatte sie es dabei. Neben ihrer Mittagspause bot die relativ stressfreie Atmosphäre zwischendurch ebenfalls genug Gelegenheiten, hineinzuschauen und den Text zu lernen. Am Donnerstag jedoch begann der Morgen äußerst hektisch. Als Yana um halb zehn auf der Porter-Ranch eintraf, lief der normalerweise ruhige und gelassene Ryan nervös vor den Ställen hin und her und telefonierte heftig gestikulierend.

»Du kannst nicht zufällig einen Truck fahren?«, begrüßte er sie, als er sein Gespräch beendet hatte.

»Leider nicht. Was ist denn los?«

»Logan hat sich krankgemeldet, er ist auf der Treppe gestolpert und hat sich dabei den Fuß verstaucht.«

»Das tut mir leid, aber wir kommen doch für einen Tag sicher auch ohne ihn zurecht, oder?«

»Theoretisch ja, nur heute hätte ich ihn dringend gebraucht, er sollte zwei Pferde nach Round Rock bringen.«

»Kann das nicht einer der anderen Männer erledigen?«

Ryan schüttelte den Kopf. »Ramon fährt freitags immer ganz früh zu seiner Familie, Reece ist unterwegs zu einem Rodeo und ich muss hierbleiben, weil Ebony fohlt und es jederzeit losgehen könnte.«

»Hat das mit den Pferden nicht Zeit bis nächste Woche?«

»Dummerweise nicht. Callan hat dem Käufer fest zugesagt, dass sie heute gebracht werden, und es ist nicht gut fürs Geschäft, wenn wir uns nicht an die Termine halten.« Er seufzte. »Na gut, geh du schon mal rein und fang mit dem Füttern an, ich telefoniere in der Zwischenzeit weiter herum und versuche, einen Fahrer aufzutreiben.«

»Okay.«

Yana stieg aus, ging hinüber zum Stall und begann, die Tränken mit frischem Wasser zu füllen. Anschließend kippte sie Hafer in die dafür vorgesehenen Futterbehälter und griff sich dann eine Heugabel, um auszumisten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Ryan hereinkam, und ihr verkündete, dass er jemanden gefunden hatte.

»Er wird den Truck fahren, allerdings kennt er sich nicht so gut mit Pferden aus. Daher wäre es mir lieb, wenn du ihn begleiten würdest, für den Fall, dass es unterwegs irgendwelche Probleme gibt. Ich möchte sicher sein, dass die Tiere wohlbehalten ankommen.«

»Geht klar.«

»Gut, dann mach hier weiter, ich sehe kurz nach Ebony und bringe danach die anderen raus auf die Koppel.«

Während Yana mit dem Ausmisten fortfuhr, überlegte sie, dass ihr der ungeplante Ausflug gar nicht so ungelegen kam. Es waren rund 200 Meilen bis Round Rock, also würden sie für den Hin- und Rückweg insgesamt mindestens sechs Stunden brauchen. Da sie ja lediglich als Beifahrerin fungierte, hätte sie unterwegs genug Zeit, um in ihr Skript zu schauen.

Im selben Moment fiel ihr ein, dass sie womöglich nicht zurück sein würde, bevor der Kindergarten schloss. Sie nahm ihr Smartphone heraus und wählte die Nummer ihres Großvaters.

»Ich bin es, Grandpa. Würde es dir etwas ausmachen, Mia nachher abzuholen? Ich muss zwei Pferde nach Round Rock bringen und weiß nicht, ob ich es rechtzeitig schaffe.«

»Geht in Ordnung«, versprach Freddy sofort, »ich nehme sie dann mit ins La Casa.«

»Vielen Dank. Bis heute Abend.«

»Bis später.«

Erleichtert steckte sie das Handy wieder ein und fuhr mit ihrer Arbeit fort, bis sich irgendwann Stimmen näherten.

»Ich bin dir wirklich dankbar«, hörte sie Ryan sagen, »Callan würde mich teeren und federn, wenn das mit der Lieferung nicht klappt.«

»Kein Problem«, erwiderte eine dunkle Männerstimme, »ich helfe gerne.«

Leise trat Yana an die Tür der Box, in der sie sich gerade befand, und spähte neugierig darüber hinweg, um zu sehen, mit wem sie notgedrungen den Tag verbringen musste.

Zunächst sah sie nur einen großen, schlanken Cowboy mit breiten Schultern und schmalen Hüften, der ihr den Rücken zugewandt hatte. Er trug eine Basecap, ein hellgraues T-Shirt und eine ausgewaschene Jeans. Ihr Blick blieb an seinem wohlgeformten Po hängen, und im gleichen Augenblick drehte der Mann sich plötzlich um.

Entgeistert riss sie die Augen auf, und es gelang ihr gerade noch, einen überraschten Aufschrei zu unterdrücken. Rasch duckte sie sich und lehnte sich gegen die Boxenwand.

Nein, das konnte nicht sein. Das war unmöglich.

Sie holte ein paar Mal tief Luft und wagte dann einen erneuten Blick in Richtung der beiden Männer, die sich immer noch unterhielten.

Gott, er war es tatsächlich. Trotz des Barts hatte sie keinen Zweifel daran, dass es sich um den Schauspieler Dean McDermott handelte. Sie kannte seine Filme und erst vor wenigen Tagen hatte sie bei einem Routine-Check beim Arzt in einer Illustrierten einen Artikel über ihn und seine zahlreichen Liebschaften gelesen.

Obwohl sie keiner dieser durchgeknallten Fans war, die beim Anblick eines Stars gleich in Ohnmacht fielen, galoppierte ihr Puls schneller als ein Pferd. Mit angehaltenem Atem rutschte sie an der Wand herunter und ließ sich ins Heu sinken.

Was zum Teufel machte er hier? Während sie versuchte, sich zu beruhigen, wurde ihr bewusst, dass sowohl Ryan als auch Callan denselben Nachnamen trugen wie er. Der Kollege ihres Großvaters hieß ebenfalls McDermott, also waren sie offenbar irgendwie miteinander verwandt. Was für ein verrückter Zufall.

Sie kam nicht dazu, sich weitere Gedanken darüber zu machen, denn plötzlich rief Ryan ihren Namen.

»Yana? Der Fahrer ist hier, es kann losgehen.«

Mühsam kämpfte sie gegen ihre Aufregung an. Ganz ruhig Yana, mahnte sie sich, flipp jetzt bloß nicht aus. Sie atmete noch einmal tief durch, dann trat sie aus der Box.