Ein heißes Wochenende – Kurzgeschichte

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Julia lässt sich von ihrer Freundin Katja überreden, für ein Wochenende auf dem Weingut ihrer Tante auszuhelfen. Die ländliche Idylle lässt Julia Schlimmes befürchten. Doch dann lernt sie Katjas Cousin Nick kennen, und plötzlich bringen sie nicht nur die sommerlichen Temperaturen ins Schwitzen …

Julia hatte es geahnt. Schon als Katja kurz vor Feierabend mit ihrem ‚Bitte-lass-mich-nicht-hängen-Blick‘ in ihr Büro geschossen kam, hatte sie es geahnt.

Katja, ihres Zeichens beste Freundin und langjährige Arbeitskollegin von Julia, hatte stets diesen Blick drauf, wenn es darum ging, Leute um den Finger zu wickeln. Er wirkte immer, und vor allem wirkte er bei Julia, die mit ihrem ausgeprägten Helferkomplex sowieso nie Nein sagen konnte.

»Okay, was soll ich tun?«, seufzte Julia resigniert. »Den Hund deiner Mutter entwurmen? Deinen schwulen Nachbarn auf eine seiner geschäftlichen Partys begleiten? Oder mal wieder einen deiner unzähligen Verehrer abwimmeln?«

»Ich habe dir doch von meiner Tante erzählt, du weißt schon, die mit dem Weingut. Naja, da gibt es jetzt am Wochenende ein Fest, und ich hatte ihr eigentlich versprochen, zu helfen. Aber mir ist etwas dazwischen gekommen, und ich dachte, du könntest vielleicht …«

Julia seufzte. Na prima. Zwei Tage zwischen Bauern und Misthaufen.

»Bitte«, drängte Katja, »ich werde es wieder gutmachen. Ich übernehme für eine Woche deinen Schreibkram.«

Dunkel erinnerte Julia sich an ähnliche Versprechungen, sie hätte ein ganzes Jahr Urlaub machen können, wenn Katja sie jemals einlösen würde. Sie zögerte. Ihr Job in einer großen Frankfurter Bank ließ ihr kaum Zeit zum Durchatmen. Jetzt wollte sie sich zum ersten Mal seit Langem ein bisschen Entspannung gönnen, und da kam Katja und …

»Okay, ich mach‘s«, sagte jemand mit ihrer Stimme.

»Ich wusste es«, jubelte Katja erfreut.

Jogginganzug, Couch, Popcorn, DVDs mit Liebesschnulzen, ein ausgedehntes Bad und eine Gurkenmaske verschwanden vor Julias geistigem Auge im Nirvana der übrigen Dinge, für die sie nie Muße fand.

»Wann und wo findet dieses Fest statt?«

»In Wicker.« Das Fragezeichen auf Julias Gesicht ignorierend schaute Katja auf die Uhr und fügte hinzu: »Du brauchst von hier aus ungefähr dreißig Minuten, wenn du gleich losfährst, schaffst du es noch rechtzeitig.«

 

Als Julia eine knappe halbe Stunde später den Ortseingang von Wicker passierte, hätte sie am liebsten sofort wieder kehrtgemacht. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber nicht das. Hier wurden doch sicher um neunzehn Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Entgeistert schaute sie sich um. Wie war es bloß möglich, dass es in so kurzer Entfernung von einer pulsierenden Metropole wie Frankfurt solch ein verschlafenes Kaff geben konnte?

»Vereinsfest der Freiwilligen Feuerwehr«, hatte Katja ihr gesagt, als sie gefragt hatte, um was für ein Fest es sich denn handelte. Nachdem Julia jetzt das hier gesehen hatte, konnte sie sich lebhaft vorstellen, wie diese Feier ablaufen würde. Eine Handvoll Landeier und Bauern würde sich bis zum Stehkragen volllaufen lassen – die Bilder, die vor ihrem geistigen Auge auftauchten, ließen finstere Mordgedanken in ihr entstehen.

Danke Katja, vielen Dank.

Sie folgte den Plakaten, die überall an der Hauptstraße hingen und sie zum Weingut von Katjas Tante führten. Dort angekommen stellte sie ihren Wagen ab, atmete noch einmal tief durch und stieg aus.

Nach wie vor genervt von ihrer eigenen Dummheit schaute sie sich um.

Neben dem mit Efeu umrankten, lang gestreckten Haupthaus gab es ein paar kleinere Backsteingebäude in unmittelbarer Nähe. Rechts von der Eingangstür lud eine Holzbank zum Sitzen ein, auf der anderen Seite stand ein alter Leiterwagen, der mit Blumen bepflanzt war. Der Hof war mit Kopfstein gepflastert, in den Blumenkästen vor den Fenstern blühten Begonien.

Alles wirkte sehr idyllisch – und tödlich langweilig.

Zögernd betrat sie das Haus, und auf ihr vorsichtiges »Hallo?« kam ihr eine rundliche Frau mit roten Apfelbäckchen entgegengeeilt.

»Hallo, du musst Julia sein – Katja hat dich schon angekündigt. Ich bin Anneliese, Katjas Tante.«

Julia blieb nicht lange Zeit, sich mit Anneliese bekannt zu machen oder sich umzusehen. Resolut schob die Gastwirtin sie durch die hintere Küchentür hinaus.

»Am besten gehst du zu Nick, er wird dir alles zeigen und erklären.«

Bevor Julia irgendwie reagieren konnte, war Anneliese bereits wieder verschwunden, und resigniert machte sie sich auf die Suche nach Nick – wer auch immer das sein mochte.

Bestimmt irgendein nach Kuhmist müffelnder Bauerntrampel, dachte sie missmutig, während sie sich zwischen den Tischen und Bänken hindurchschlängelte und sich umsah. Sie entdeckte eine Art Podium, das vermutlich zum Tanzen genutzt wurde, und eine Bar, hinter der sie jetzt eine Bewegung wahrnahm. Zielstrebig steuerte sie darauf zu und umrundete die Theke.

Entgeistert hielt sie die Luft an. Auf solch einen Anblick war sie nicht vorbereitet gewesen.

Mit dem Rücken zu ihr und dem Kopf unter dem Tresen kniete ein Mann und hantierte dort herum. Sein Po, sein äußerst knackiger Po, eng umspannt von einer ausgewaschenen Jeans, streckte sich provozierend in ihre Richtung.

Dieser Anblick entschädigte sie doch beinahe für ihren ganzen Ärger. Nachdem sie einen Moment die herrliche Aussicht genossen hatte, räusperte sie sich vernehmlich. Der Mann zuckte zusammen, fuhr hoch und stieß sich die Schulter an der Theke an. Leise fluchend rappelte er sich auf und zwei strahlend blaue Augen unter einem dunklen Haarschopf schauten sie vorwurfsvoll an.

»Wir haben noch geschlossen, das Fest beginnt erst in einer Stunde.«

»Nein, ich bin nicht wegen des Fests hier«, erklärte Julia. »Das heißt, eigentlich schon, aber nicht so. Ich suche einen Mann.« Als sie das erheiterte Grinsen bemerkte, das um seinen Mund spielte, seinen sehr sinnlich wirkenden Mund, korrigierte sie hastig: »Also ich meine … ich suche Nick.«

Toll. Sie benahm sich wie ein kompletter Idiot.

»Gefunden«, grinste er auch prompt und musterte sie ungeniert von Kopf bis Fuß.

Unter seinem herausfordernden Blick wurde ihr plötzlich heiß. Nicht, dass sie vorher gefroren hätte, immerhin waren es über dreißig Grad draußen. Doch jetzt brach ihr regelrecht der Schweiß aus, und das lag nicht nur daran, dass sie sich in ihrem eleganten Kostüm mit dem kurzen Rock und den High Heels auf einmal völlig deplatziert fühlte. Katja hatte sie dermaßen überfallen, dass sie nicht einmal mehr Zeit gehabt hatte, nach Hause zu fahren und sich umzuziehen oder etwas einzupacken.

»Mit den Schuhen kannst du hier aber nicht den ganzen Abend rumlaufen«, kommentierte er auch direkt ihr Outfit, »ich schaue gleich mal, ob ich ein paar andere für dich habe.«

Irritiert schaute Julia auf seine Füße. Sie waren groß. Sehr groß. Unbewusst fragte sie sich, ob es tatsächlich stimmte, dass es einen Zusammenhang zwischen der Schuhgröße und der Größe eines gewissen anderen Körperteils gab. Ihr Blick wanderte an seinen langen Beinen hinauf und heftete sich prüfend auf die Region seiner Jeans, die gerade ihr Interesse geweckt hatte.

Oh. Offenbar war an diesen seltsamen Redensarten doch etwas Wahres dran.

Julias Hals fühlte sich plötzlich trocken an. Sie schluckte ein paar Mal und seufzte leise. Ihr letzter Sex lag so lange zurück, dass sie kaum noch wusste, wie man das Wort überhaupt buchstabierte. Ja, es war zwar peinlich, aber die traurige Wahrheit. Sie war sechsundzwanzig und hatte vermutlich weniger erotische Erlebnisse als ihre siebzigjährige Nachbarin. Abgesehen davon, dass ihre Arbeit ihr keine Zeit ließ, sich nach einem Mann umzusehen, war sie auch nicht der Typ für One-Night-Stands, sie bevorzugte eine feste Beziehung. Allerdings ging ihr gerade in diesem Augenblick durch den Kopf, dass Nick ein guter Grund für eine Ausnahme wäre.

»Hast du so etwas schon einmal gemacht?«, fragte er jetzt und lenkte damit ihre auf Abwege geratenen Gedanken wieder in die Realität zurück und ihren Blick weg von seiner Jeans.

Irritiert schaute sie ihn an, und das belustigte Funkeln in seinen Augen ließ erkennen, dass er genau wusste, was ihre Aufmerksamkeit so gefesselt hatte.

Ihr Gesicht nahm das gleiche Rot an wie die Begonien in dem Blumenkübel hinter ihm, und wortlos schüttelte sie den Kopf.

»Macht nichts, ich werde mich um dich kümmern«, versprach er mit einem vielsagenden Lächeln, »aber erst mal musst du raus aus den Klamotten.«

Ja, gerne. Ähm – Moment mal, was dachte sie da eigentlich?

Mit großen Schritten strebte er aufs Haus zu, und Julia folgte ihm auf weichen Beinen. Dabei hatte sie Gelegenheit, ausgiebig seine Rückansicht zu bewundern. Abgesehen von seinem wohlgeformten Po besaß er beeindruckend breite Schultern und unter den aufgekrempelten Ärmeln seines weißen Hemdes blitzten muskulöse und gebräunte Arme hervor. Alles in allem wirkte er sehr maskulin und attraktiv und überhaupt nicht wie ein Bauer.

Wenig später standen sie in einem Schlafzimmer. Nick kramte einen Augenblick in einem Kleiderschrank herum, dann förderte er ein Paar Sneakers zutage sowie eine Jeans und ein Top.

»Das dürfte passen.«

Stirnrunzelnd betrachtete Julia die Kleidung. »Hat deine Frau denn nichts dagegen, dass du einfach ihre Sachen verleihst?«, entfuhr es ihr spontan.

Im gleichen Moment hätte sie sich am liebsten geohrfeigt. Plumper ging es ja wohl nicht. Erst starrte sie ihm auf die Hose, als würde sich darunter der Schatz der Nibelungen verbergen, und jetzt auch noch das. Himmel, dieser Kerl schaffte es, ihren normalerweise brillanten Verstand auf das Level einer Scheibe Toastbrot zu reduzieren.

Das breite Grinsen, mit dem er sie bedachte, sprach Bände. »Es gibt keine Frau, die Klamotten gehören meiner Schwester.«

Na, das war doch wenigstens mal eine erfreuliche Aussage. Erleichtert zog Julia ihre Kostümjacke aus und streifte ihre High Heels ab.

Entspannt lehnte Nick am Schrank, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben, und machte keinerlei Anstalten, den Raum zu verlassen.

Wie jetzt? Erwartete er etwa, dass sie sich hier vor ihm auszog? Nur weil sie ihm vielleicht eine Sekunde zu lange auf den Schritt geschaut hatte?

»Ich komme alleine zurecht«, erklärte sie ihm bestimmt. »Du hast doch sicher noch etwas zu tun.«

Mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers stieß er sich vom Schrank ab und kam auf sie zu. Dicht vor ihr blieb er stehen und schaute auf sie herab.

»Ja, so einiges«, bestätigte er mit einem gefährlich wirkenden Lächeln.

Im gleichen Moment, als Julia sich wünschte, er würde sie küssen, war er verschwunden.

 

Tatsächlich passten Julia die Sachen von Nicks Schwester wie angegossen – wenn man von dem Top absah. Es schmiegte sich so eng an ihren Oberkörper, dass ihre vollen Brüste es jede Sekunde zu sprengen drohten.

Der durchdringende Blick, mit dem Nick sie wenig später eingehend taxierte, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Doch sie hatte keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen. Im Eiltempo erklärte er ihr, was sie zu tun hatte, und kurz darauf trafen bereits die ersten Gäste ein.

Es wurde ein anstrengender Abend.

Anstrengend, weil sie ununterbrochen herumlief, um Wein, Bier, Rippchen mit Sauerkraut und Handkäs‘ zu servieren.

Anstrengend, weil ihre Beine sich nach zwei Stunden wie Blei anfühlten.

Und anstrengend, weil Julias Fantasie in Nicks Nähe wilde Kapriolen schlug.

Dennoch musste sie sich eingestehen, dass die ganze Sache angenehmer verlief, als befürchtet. Die Landeier entpuppten sich als sympathische und trinkfeste Gäste, die Stimmung war ausgelassen, und die Musik der kleinen Band verbreitete gute Laune.

Irgendwann weit nach Mitternacht löste sich die Gesellschaft auf. Nick brachte Julia zum Schlafzimmer seiner Schwester.

»Du hast dich ziemlich gut geschlagen«, sagte er anerkennend, »denkst du, du hältst das heute Abend noch einmal durch?«

Julia ließ ihren Blick über ihn gleiten und nickte. Oh ja, solange er in ihrer Nähe war, würde sie sogar die Teilnahme am ‚Ironman‘ überstehen.

»Na dann …«, er zögerte einen Moment, »… schlaf gut.«

»Danke, du auch«, murmelte sie und unterdrückte den Wunsch, ihn ins Zimmer zu zerren.

Wenige Minuten darauf lag sie im Bett und schlief trotz der sehnsüchtigen Gedanken an Nick augenblicklich ein.

 

Irgendwann schreckte Julia hoch. Schläfrig und leicht irritiert über die fremde Umgebung rieb sie sich die Augen, dann wusste sie wieder, wo sie sich befand. Mit einem kurzen Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es bereits später Vormittag war.

Sie kroch aus dem Bett, streckte sich ausgiebig und beschloss, sich auf die Suche nach dem Bad zu machen. Nach einer ausgedehnten Dusche fühlte sie sich munter und wach, und ihre Beine schienen nicht mehr ganz so sehr zu schmerzen.

Sie zog die Jeans, das Top und die Sneakers an und fuhr sich ein paar Mal mit der Bürste durch die Haare.

Als sie in die Küche kam, fand sie einen reichlich gedeckten Tisch vor. Anneliese stellte eine Kanne Kaffee vor sie hin, nickte ihr aufmunternd zu und eilte hinaus.

Zufrieden schob Julia sich auf die rustikale Eckbank und angelte sich ein Brötchen aus dem Korb. Eigentlich war das Landleben doch gar nicht so übel. Normalerweise begnügte sie sich mit einer Tasse Kaffee im Stehen und einer Schale Müsli. Nicht, weil sie auf ihre Figur achten musste, sondern weil es einfach keinen Spaß machte, für sich allein ein opulentes Frühstück zuzubereiten.

Während sie aß, dachte sie an Nick. Ob er noch schlief? Ihre Frage beantwortete sich, als er eine Sekunde später zur Hintertür hereinkam. Sein Anblick ließ ihr Herz sofort wieder höher schlagen. Er trug ein dunkelblaues Polohemd und eine ausgeblichene Jeans, durch die man seine muskulösen Oberschenkel mehr als nur erahnen konnte.

Schwungvoll setzte er sich auf einen Stuhl ihr gegenüber und goss sich Kaffee ein.

»Na du Stadtpflanze, ausgeschlafen?«

Stadtpflanze. Na vielen Dank.

»Ja du Landei, ausgeschlafen«, gab sie bissig zurück.

Er grinste. »Sorry, aber als ich hörte, dass Katja eine Freundin zum Aushelfen schickt, habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich hatte eine Tussi mit langen Fingernägeln und drei Zentnern Make-up im Gesicht erwartet.«

Wider Willen musste Julia schmunzeln. »Ehrlich gesagt hatte ich ebenfalls so meine Befürchtungen«, gab sie zu. »Ich hatte eine Vision von einer Horde Bauern, die in Gummistiefeln herumläuft und Mistgabeln schwingt.«

»Und? Bist du jetzt enttäuscht?«, fragte er lachend.

Julia betrachtete seine Hände, die er mit festem Griff um den Kaffeebecher gelegt hatte. Sie waren groß und wirkten kräftig, aber gleichzeitig auch sensibel. Bestimmt würden sie sich auf ihrer Haut sehr gut anfühlen.

»Nein«, hastig schüttelte sie den Kopf, »nein, nicht im Geringsten.«

Unter Nicks amüsiertem Blick beendete Julia ihr Frühstück. Anschließend räumten sie draußen auf und bereiteten alles für die Gäste vor. Dabei unterhielten sie sich und alberten ein wenig herum. Julia stellte fest, dass Nick einen gesunden Humor besaß, er war schlagfertig und intelligent, und sein charmantes, jungenhaftes Grinsen jagte Julia einen Schauer nach dem anderen durch den Körper. Wenn sich ihre Finger ab und zu berührten, flogen die Funken, und es kostete sie sämtliche Kraft, ihm nicht auf der Stelle die Kleider vom Leib zu reißen.

Himmel, dieser Mann war so sexy, dass sie regelrecht in Flammen stand. Vielleicht würde sich ja heute Abend eine Gelegenheit ergeben, die Sache in die Hand zu nehmen – im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Als sie gerade fertig waren, trafen auch schon die ersten Gäste ein, und mit ihnen – Katja.

Ungläubig riss Julia die Augen auf. Verdammt. Was wollte die denn jetzt hier?

»Huhu Julia«, begrüßte die Freundin sie überschwänglich. »Ich hatte ein schlechtes Gewissen, und habe mir gedacht, ich löse dich heute Abend ab«, erklärte sie und fiel dann Nick um den Hals. »Hi Nick.«

»Hallo Cousinchen.«

Nicks Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er von Katjas Erscheinen genauso wenig begeistert war wie Julia.

Enttäuscht nagte Julia an ihrer Unterlippe. Super. Jetzt hatte sie sich gerade dazu entschlossen, ihre Bedenken hinsichtlich eines One-Night-Stands über Bord zu werfen und nun das.

Adieu Nick. Adieu toller Sex mit Nick. Adieu heiße Nacht mit Nick.

»Na dann«, murmelte sie frustriert, »ich gehe mich umziehen und mache mich auf den Weg. Viel Spaß noch.«

Sie drehte sich um und stapfte aufs Haus zu.

Plötzlich war Nick hinter ihr. »Warte.«

Überrascht hielt sie inne und schaute ihn an.

»Wie wäre es, wenn du …«, er räusperte sich, »also du könntest doch hierbleiben. Setz dich einfach an einen der Tische und genieß den Abend, das hast du dir verdient.«

Ja sicher. Das war genau das, was sie verdient hatte. Stundenlang neben wildfremden Leuten herumzuhocken und Nick zu beobachten. Sich vorzustellen, wie schön es hätte sein können, wenn Katja nicht aufgetaucht wäre. Sich krampfhaft an ein Glas Wein zu klammern, obwohl sie sich viel lieber an Nicks starke Arme geklammert hätte. Sich um Mitternacht auf den Heimweg zu machen, während Nick alleine in sein Bett ging. Ganz großes Kino.

»Na komm schon, bleib hier, wenigstens noch ein bisschen«, fuhr Nick fort. »Oder hast du Sehnsucht nach deinem Großstadtdschungel?«

Ich habe ganz andere Sehnsüchte, schoss es ihr sarkastisch durch den Kopf. Aber dann bemerkte sie das Funkeln in seinen Augen, und so nickte sie schließlich.

»Also gut.«

Er lächelte zufrieden und führte sie an einen der Tische. Mit einem leisen Seufzen ließ sie sich auf der Bank nieder, Nick brachte ihr ein Glas Wein und verschwand hinter der Theke.

Nach und nach füllte sich der Garten, und auch an ihrem Tisch wurde es allmählich voll. Direkt neben ihr saßen einige Männer von der freiwilligen Feuerwehr und gelangweilt lauschte sie den Fachsimpeleien. Immer wieder wurde sie ins Gespräch einbezogen. Sie stellte ein paar höfliche Fragen und klebte sich ein halbwegs freundliches Lächeln ins Gesicht. Die Jungs waren zwar nett, aber der Einzige, der ihr Feuer löschen konnte, rannte zwischen den Tischen und der Bar hin und her.

Die Band fing an zu spielen, die ersten Paare betraten das Podium und begannen zu tanzen, und als es dunkel wurde, beschloss Julia resigniert, nach Hause zu fahren.

Sie stand auf, und im gleichen Moment schloss sich eine kräftige Hand um ihren Arm.

»Wir haben gestern gar keine Gelegenheit zum Tanzen gehabt«, erklärte Nick und schob sie vor sich her zu dem kleinen Podest.

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie dicht an sich gezogen und drehte sich mit ihr im Takt des langsamen Liedes über die Tanzfläche.

Hm, er roch so gut. Nicht nach Kuhstall oder Misthaufen, sondern nach einem herben Aftershave. Und er fühlte sich gut an. Sehr gut. Warm, männlich und – erregt.

Sie sog scharf die Luft ein.

»Ich glaube das war keine so gute Idee«, murmelte Nick mit gepresster Stimme an ihrem Ohr. »Lass uns hier verschwinden.«

»Aber … musst du nicht …«, stammelte sie hilflos.

Er deutete auf einen blonden Mann hinter der Bar. »Lukas vertritt mich für eine Weile.«

Fünf Minuten später fand Julia sich auf einem Motorrad wieder, eng an Nicks muskulösen Rücken geschmiegt.

Es dauerte nicht lange, bis sie einen kleinen Badesee erreichten. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, und ohne jede Scheu zog Nick sich aus.

»Darauf hatte ich den ganzen Tag Lust«, erklärte er fröhlich, während er sich ins Wasser stürzte.

Wie jetzt? Er wollte schwimmen? Julias erotische Fantasien lösten sich schlagartig in Luft auf. Das konnte doch nicht sein Ernst sein.

»Komm rein, es ist herrlich«, forderte er sie auf.

Na gut. Wenn sie schon keinen Sex haben würde, dann konnte sie sich wenigstens ein kühles Bad gönnen.

Rasch schälte sie sich aus ihrer Kleidung und folgte ihm.

Langsam paddelte sie auf ihn zu und quietschte erschrocken auf, als er sie plötzlich packte und zu sich zog. Er konnte gerade noch so stehen, das Wasser reichte ihm bis zum Hals, was bedeutete, dass es für sie zu tief war, also hielt sie sich an seinen Schultern fest.

Ihre Körper berührten sich.

Oh. Oh Gott. Er fühlte sich noch besser an als beim Tanzen. Viel besser. Und viel – härter.

Jetzt oder nie. Die Unterhaltung ihrer Tischnachbarn fiel ihr wieder ein.

»Bist du eigentlich auch bei der Freiwilligen Feuerwehr?«, fragte sie unschuldig und schlang ihre Beine um seine Hüften.

Er schnappte nach Luft und nickte wortlos.

»Gut«, raunte sie zufrieden, »dann weißt du ja sicher, wie man mit einem C-Rohr umgeht.«

 

Zwei Stunden später standen Julia und Nick wieder im Garten des Weinguts an der Bar. Nick reichte ihr ein Glas Wein, und dankbar trank sie einen großen Schluck. Unglaublich, wie durstig guter Sex doch machen konnte.

»Sag mal, Julia«, begann Katja beiläufig, während sie ein paar Teller abspülte, »hast du eigentlich nächstes Wochenende schon etwas vor? Ich bräuchte …«

»Ja, sie hat schon etwas vor«, unterbrach Nick sie energisch. Mit einem tiefgründigen Blick in Julias Richtung fügte er grinsend hinzu: »Sie muss einen Feuerwehreinsatz leiten.«

»Feuerwehreinsatz?«, fragte Katja irritiert.

Julia lachte und sah Nick an. »Ja, ich glaube, irgendetwas hat Feuer gefangen.«